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Joseph von Westphalen: ... was über Schach
Antoninus - 31. Aug '09
Abitur-Aufgabe 1999 ( in Meck-Pomm) Deutsch Gk Seite 4
Text zur Aufgabe III
Joseph von Westphalen (geb. 1945)
Warum ich nicht Schach spiele
[...] Schach wird für ein stilles und intelligentes Spiel gehalten, ein Spiel für scharfe Denker, für Leute mit Kopf, für Rechner, die sich nicht auf ihr Glück verlassen. Vor Schach haben sogar Gangster Respekt.
Das hohe und ungetrübte Ansehen des Schachspiels ist mir schon immer auf die Nerven gegangen. Eine Sache, die keine Feinde hat, muß ihre Haken haben. Feinde hat Schach deswegen nicht, weil es den Ruf eines Intelligenz-Spiels hat. Wer also etwas gegen Schach sagt, der erhebt seine Stimme gegen die Intelligenz, und das ist unklug. Wer schlecht Schach spielt, zweifelt nie am Schachspiel, sondern immer an sich selbst. Dies ist das Perfide am Schach und mein erster Einwand: daß es als ein Meßinstrument des Denkvermögens angesehen wird. Der miserable Schachspieler muß sich für einen geistigen Schwächling halten.
Aus mir spricht gereifte Erfahrung. Die wenigen Partien, die ich jemals spielte, quälten mich, ob ich gewann oder verlor. Ich bekam Kopfschmerzen, Magenzwicken, Ohrensausen und nervöse Beine. Nach jedem Spiel war mir übel. Dies alles hielt ich, mit einiger Trauer, für Symptome meiner überforderten Intelligenz. Offenbar war ich doch nicht der klare Denker, für den ich mich gehalten hatte. Das Schachspiel hatte mir meine Grenzen gezeigt.
Inzwischen weiß ich längst, daß nur der Ekel mir solche Pein verursachte. Denn das edle Brettspiel hat durchaus seine widerwärtigen Züge. Unter dem Deckmantel des logischen Denkens wird auf den 64 Feldern eine gräßliche Schlacht geschlagen. Es werden Fallen gestellt, es wird umzingelt, belagert, verfolgt; es gibt Angriff und Rückzug, es werden - eine besonders verräterische Formulierung - Figuren «geopfert», bevorzugt Bauern; es wird immer mehr in die Enge getrieben, es wird gedroht, gemetzelt; es gibt immer mehr Tote und schließlich muß sich
einer der beiden befeindeten Könige ergeben, oder er wird matt gesetzt.
Das Schachspiel ist auf nichts als auf die Vernichtung des Gegners ausgerichtet. Es schließt unbarmherzig den glücklichen Zufall aus, der einem im Leben gelegentlich weiterhilft. Nur die Fehler des Gegners helfen einem weiter.
Es ist ein Spiel ohne Gnade, ohne Charme, ohne Witz.
[...]
Die schönsten Elfenbeinfiguren und die raffiniertesten Züge können nicht darüber hinwegtäuschen, daß Schach ein brutales Killerspiel ist, der vornehme Vorgänger der Computer-Video-Spiele, an denen auf den Bildschirm glotzende Halbwüchsige irgendwelche Feinde bekämpfen.
Überhaupt ist die Verbindung von Schach und Computer nicht von ungefähr. Denn die vertrottelte Logik des Schachspiels, die nichts als den Sieg durch ein dauerndes Vermeiden von allen nur möglichen Fehlern im Sinn hat, ist auch die dem Computer eingebleute Denkweise. Daher hat sich der Schachcomputer in jüngster Zeit auch zum Trainingspartner des leidenschaftlichen Schachspielers entwickelt. Ihm kann es jetzt der Denkstratege am Brett zeigen, daß er immer noch der Bessere ist.
Denn ständig will der Schachspieler besser sein. Das hat er mit den Fußballspielern gemeinsam, aber die lehne ich auch ab. Ich lehne überhaupt alle Spiele ab, wo man gewinnt und verliert, und besonders solche, wo man Weltmeister werden kann. Das Gestrampel um den Sieg kann ich nicht normal finden.
Da wird herausgefordert, da werden Titel verteidigt, da geht es ja zu wie im richtigen Leben.
Wenn ich spiele, dann möchte ich mich vom Leben erholen. Das Schach aber wiederholt nur den Irrsinn der Weltgeschichte auf einem kleinen Brett. Man strengt sein Hirn ausschließlich dazu an, den Gegner möglichst schnell auszurotten, und man hat die Partie auch dann gewonnen, wenn das eigene Heer weitgehend abgeschlachtet ist. Allein der König, dieses unbewegliche Monstrum, muß geschützt werden.
Natürlich begreifen die Schachspieler ihr Gemetzel nicht als traurige Parabel der Völkerschlachten, sondern als vergnüglichen Denksport. Man runzelt die Stirn wie ein Generalstäbler und zieht dabei an seiner Pfeife. Man übt seinen Geist. Man ist stolz auf seine überaus sinnvolle Freizeitbeschäftigung.
[...]
(Aus: Joseph von Westphalen. Warum ich trotzdem Seitensprünge mache.
Wilhelm Heyne Verlag. München 1995)
**
Wenn der Autor Schach spielen könnte, hätte er sich wohl anders ausgedrückt...
Text zur Aufgabe III
Joseph von Westphalen (geb. 1945)
Warum ich nicht Schach spiele
[...] Schach wird für ein stilles und intelligentes Spiel gehalten, ein Spiel für scharfe Denker, für Leute mit Kopf, für Rechner, die sich nicht auf ihr Glück verlassen. Vor Schach haben sogar Gangster Respekt.
Das hohe und ungetrübte Ansehen des Schachspiels ist mir schon immer auf die Nerven gegangen. Eine Sache, die keine Feinde hat, muß ihre Haken haben. Feinde hat Schach deswegen nicht, weil es den Ruf eines Intelligenz-Spiels hat. Wer also etwas gegen Schach sagt, der erhebt seine Stimme gegen die Intelligenz, und das ist unklug. Wer schlecht Schach spielt, zweifelt nie am Schachspiel, sondern immer an sich selbst. Dies ist das Perfide am Schach und mein erster Einwand: daß es als ein Meßinstrument des Denkvermögens angesehen wird. Der miserable Schachspieler muß sich für einen geistigen Schwächling halten.
Aus mir spricht gereifte Erfahrung. Die wenigen Partien, die ich jemals spielte, quälten mich, ob ich gewann oder verlor. Ich bekam Kopfschmerzen, Magenzwicken, Ohrensausen und nervöse Beine. Nach jedem Spiel war mir übel. Dies alles hielt ich, mit einiger Trauer, für Symptome meiner überforderten Intelligenz. Offenbar war ich doch nicht der klare Denker, für den ich mich gehalten hatte. Das Schachspiel hatte mir meine Grenzen gezeigt.
Inzwischen weiß ich längst, daß nur der Ekel mir solche Pein verursachte. Denn das edle Brettspiel hat durchaus seine widerwärtigen Züge. Unter dem Deckmantel des logischen Denkens wird auf den 64 Feldern eine gräßliche Schlacht geschlagen. Es werden Fallen gestellt, es wird umzingelt, belagert, verfolgt; es gibt Angriff und Rückzug, es werden - eine besonders verräterische Formulierung - Figuren «geopfert», bevorzugt Bauern; es wird immer mehr in die Enge getrieben, es wird gedroht, gemetzelt; es gibt immer mehr Tote und schließlich muß sich
einer der beiden befeindeten Könige ergeben, oder er wird matt gesetzt.
Das Schachspiel ist auf nichts als auf die Vernichtung des Gegners ausgerichtet. Es schließt unbarmherzig den glücklichen Zufall aus, der einem im Leben gelegentlich weiterhilft. Nur die Fehler des Gegners helfen einem weiter.
Es ist ein Spiel ohne Gnade, ohne Charme, ohne Witz.
[...]
Die schönsten Elfenbeinfiguren und die raffiniertesten Züge können nicht darüber hinwegtäuschen, daß Schach ein brutales Killerspiel ist, der vornehme Vorgänger der Computer-Video-Spiele, an denen auf den Bildschirm glotzende Halbwüchsige irgendwelche Feinde bekämpfen.
Überhaupt ist die Verbindung von Schach und Computer nicht von ungefähr. Denn die vertrottelte Logik des Schachspiels, die nichts als den Sieg durch ein dauerndes Vermeiden von allen nur möglichen Fehlern im Sinn hat, ist auch die dem Computer eingebleute Denkweise. Daher hat sich der Schachcomputer in jüngster Zeit auch zum Trainingspartner des leidenschaftlichen Schachspielers entwickelt. Ihm kann es jetzt der Denkstratege am Brett zeigen, daß er immer noch der Bessere ist.
Denn ständig will der Schachspieler besser sein. Das hat er mit den Fußballspielern gemeinsam, aber die lehne ich auch ab. Ich lehne überhaupt alle Spiele ab, wo man gewinnt und verliert, und besonders solche, wo man Weltmeister werden kann. Das Gestrampel um den Sieg kann ich nicht normal finden.
Da wird herausgefordert, da werden Titel verteidigt, da geht es ja zu wie im richtigen Leben.
Wenn ich spiele, dann möchte ich mich vom Leben erholen. Das Schach aber wiederholt nur den Irrsinn der Weltgeschichte auf einem kleinen Brett. Man strengt sein Hirn ausschließlich dazu an, den Gegner möglichst schnell auszurotten, und man hat die Partie auch dann gewonnen, wenn das eigene Heer weitgehend abgeschlachtet ist. Allein der König, dieses unbewegliche Monstrum, muß geschützt werden.
Natürlich begreifen die Schachspieler ihr Gemetzel nicht als traurige Parabel der Völkerschlachten, sondern als vergnüglichen Denksport. Man runzelt die Stirn wie ein Generalstäbler und zieht dabei an seiner Pfeife. Man übt seinen Geist. Man ist stolz auf seine überaus sinnvolle Freizeitbeschäftigung.
[...]
(Aus: Joseph von Westphalen. Warum ich trotzdem Seitensprünge mache.
Wilhelm Heyne Verlag. München 1995)
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Wenn der Autor Schach spielen könnte, hätte er sich wohl anders ausgedrückt...
Schachtuerke - 31. Aug '09
Den Text hatten wir schon mal im Forum...
Ich vermute, dass er nicht ganz ironiefrei ist.
Aber kannst du mir eins verraten?
Wieso schreibst du deine Beiträge nie ins Hauptforum?
Ich vermute, dass er nicht ganz ironiefrei ist.
Aber kannst du mir eins verraten?
Wieso schreibst du deine Beiträge nie ins Hauptforum?
Harry_Haller - 15. Okt '09
wieso, der beitrag ist doch folgerichtig im forum "vorschläge und anregungen"... ich sehe deutlich die anregung, bzw. den vorschlag, schach wegen seines verrohenden und faschistischen inhalts abzuschaffen. gewagter vorschlag, in einem schachforum, aber immerhin richtig plaziert. ;o)
tarrasch_0815 - 15. Okt '09
Im Mittelalter war Schach tatsächlich zeitweise von der Kirche verboten.
patzer0815 - 15. Okt '09
inzwischen ist aber der Ruf eines Glücksspiels verflogen
tarrasch_0815 - 15. Okt '09
Schach ist aber dennoch ein Glücksspiel. Mir fallen auf Anhieb mindestens 10 Partien von mir ein, wo ich Glück hatte.
patzer0815 - 15. Okt '09
Schach gegen Fischer oder einen Computer ist kein Glücksspiel
tarrasch_0815 - 19. Okt '09
Aber langweilig, weil das Ergebnis vorher feststeht.
patzer0815 - 20. Okt '09
naja, gegen Bobby hab ich noch nie verloren :P
und beim Computer ist es unabhängig von der Spielstärke kein Glücksspiel. Man kann also auch gegen einen mit ner 1700er Spielstärke spielen. Obwohl, dann könnte das Ergebnis auch schon vorher feststehen...
und beim Computer ist es unabhängig von der Spielstärke kein Glücksspiel. Man kann also auch gegen einen mit ner 1700er Spielstärke spielen. Obwohl, dann könnte das Ergebnis auch schon vorher feststehen...
Dompfaff - 14. Nov '09
Das kann ich bestätigen, mehr noch : Am meisten empfinde ich bei Partien Freude, in denen eine überraschende - also völlig ungeplante - Konstellation eine für mich glückliche Wende bringt.
Die Ausführungen des Herrn von Westphalen sind bedenkenswert - man muß ja deswegen nicht gleich das Schachspiel aufgeben...
Die Ausführungen des Herrn von Westphalen sind bedenkenswert - man muß ja deswegen nicht gleich das Schachspiel aufgeben...
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