Kommentierte Spiele
Spannende Remispartien (VIII): Rücksichtsloses Opferschach
Vabanque - 10. Apr '25
Ich greife die Reihe mit den sehenswerten Remispartien wieder auf und zeige in der aktuellen Folge einen Kampf, den der damals 25jährige argentinische Landesmeister Hector Rossetto (dem später auch IM- und GM-Titel zugesprochen wurden) gegen den renommierten Schweden Gideon Stahlberg von vorneherein im schärfstmöglichen Opferstil anlegte. Schon bald stand es Spitz auf Knopf, und mal schien der eine auf Gewinn zu stehen, mal der andere. Auf geniale Angriffszüge folgten ebenso geniale Verteidigungszüge, und schließlich endete die Partie nach bereits 18 Zügen in einem Dauerschach. Ein Kurzremis also, wie es in heutigen Turnieren meist sehr abwertend und verächtlich rezensiert wird? Oder 'one of the finest games ever played', wie Wolfgang Heidenfeld 1960 in 'Modern Chess Miniatures' meinte? Der Leser mag entscheiden.































PGN anzeigen
Hector Decio Rossetto Gideon Stahlberg Vina del Mar | Vina del Mar CHI | 1947 | C13 | 1/2-1/2
8








7








6
5
4
3
2








a
1

b

c

d

e

f

g

h

1. e4 e6 2. d4 d5 3. Sc3 Sf6 4. Lg5 Le7 5. e5 Sfd7 Bisher die klassische Behandlung der Französischen Verteidigung. 6. h4!? Der Aljechin-Chatard-Angriff. Bis heute ist nicht geklärt, wie sich Schwarz nun am besten verhält. Er kann das angebotene Bauernopfer annehmen (was als gefährlich gilt, aber spielbar zu sein scheint), oder einen der vielen Ablehnungszüge machen, wie etwa ... f6, ... h6, ... O-O, ... a6, oder eben den folgenden Textzug. c5 7. Sb5?! Der Springer strebt nach d6. f6! 8. Ld3?! Opfert den Lg5, was allerdings nur dann korrekt ist, wenn Schwarz ihn auch nimmt (was er nicht tut). a6! 9. Dh5+ Kf8 10. Th3 Da bei Weiß nun gleich zwei Figuren hängen, muss er im Opferstil fortfahren und das Beste hoffen. xb5 Diesen Springer zu nehmen, erweist sich als gerechtfertigt. An Weiß ist es nun, genügend Kompensation für sein Opferspiel nachzuweisen. Der Theoretiker wird sich spätestens hier mit Grausen abwenden, aber wie man sehen wird, hat so ein Spiel in der Praxis durchaus Chancen, und das selbst gegen einen Top-GM wie Stahlberg. 11. Lh6! Die beste praktische Chance. Da5+ Schwarz spielt verständlicherweise auf Gewinn. Sein König soll nach der Annahme des Läuferopfers nach d8 entkommen können.
Laut Engine wäre hier das sofortige Dc7! am stärksten gewesen, was dem menschlichen Denken paradox scheint, denn Schwarz zieht ja die Dame im folgenden Zug auch nach c7, mit dem Unterschied, dass dann der Lh6 auf d2 steht, wo er für Schwarz 'ungefährlicher' aussieht.
12. Ld2 Nun, wo der schwarze König das Fluchtfeld d8 hätte, darf Weiß seinen Läufer nicht mehr zum Opfer anbieten. Dc7 13. Tg3 Plant ein Opfer auf g7. xd4 Mit Damentauschdrohung Dxe5+; wo ist der weiße Angriff geblieben? 14. Sf3 Sxe5 Das sieht doch echt gut aus: Schwarz hat sein strategisches Ziel, die Zerstörung des weißen Zentrums, ja nun zur Gänze erreicht! 15. Txg7! Das geht trotzdem! Plötzlich scheint Schwarz verloren, da die Annahme des Turmopfers zum Matt führt und Weiß aber Sxe5 nebst Df7# droht, oder auch Lh6. h6!! Die geniale Rettung. 16. Lh7! Wieder das einzige! Kxg7 17. Dxh6+ Kf7 Nun verhindert der Se5 gerade noch Dg6+ nebst Lh6#. 18. Dh5+ Kg7 (natürlich nicht nach f8!) und Remis durch ewiges Schach. Ein großer Erfolg für den damals noch aufstrebenden jungen Argentinier gegen eine internationale Koryphäe.
mr20 - 10. Apr '25
sehr schön; danke
Oli1970 - 13. Apr '25
Spannende Partie, das Ergebnis täuscht leicht darüber hinweg. Es sind recht viele "einzige" Züge, die den Vorteil festhalten, gespielt worden. Dank Engine kann man heute leicht "sehen", dass 14...Sxe5 fehlerhaft ist, denn Schwarz hatte bis dahin mit Springer plus Bauer voraus guten Vorteil und der Zug sieht nach einem weiteren kostenlosen Bauerngewinn aus. Mit einem Tempo mehr hätte Schwarz ...f5 vorschalten und vielleicht nach Txg7 mit Sf3+ gxf3 De5+ nebst Dxg7 fortsetzen können - aber das Tempo ließ sich hier nicht rausholen.
Genauso kann man an diesem Zug sehen, dass der Zug für das menschliche Auge gut ist - in meiner Datenbank wurde die Partie zwischen 1985 und 1992 viermal kopiert und jeweils mit 14...Sxe5 fortgesetzt. In Pavlovic - Züger 1990 spielte Pavlovic im 16. Zug Tg3 weiter und gab Züger Vorteil (aber auch die Partie endete nach 47 Zügen remis). Im Vor-Engine-Zeitalter haben Spieler zwischen 2300 und 2500 Elo den Spielzug nicht in Frage gestellt. Natürlich darf man auch philosophieren, wie sinnvoll es ist, eine Partie zu kopieren, auch wenn sie offensichtlich voller Fallstricke steckt. Die Fallstricke und deren Umgehung sollte man lernen, aber nicht darauf hoffen, dass sie der Gegner übersehen möge.
Genauso kann man an diesem Zug sehen, dass der Zug für das menschliche Auge gut ist - in meiner Datenbank wurde die Partie zwischen 1985 und 1992 viermal kopiert und jeweils mit 14...Sxe5 fortgesetzt. In Pavlovic - Züger 1990 spielte Pavlovic im 16. Zug Tg3 weiter und gab Züger Vorteil (aber auch die Partie endete nach 47 Zügen remis). Im Vor-Engine-Zeitalter haben Spieler zwischen 2300 und 2500 Elo den Spielzug nicht in Frage gestellt. Natürlich darf man auch philosophieren, wie sinnvoll es ist, eine Partie zu kopieren, auch wenn sie offensichtlich voller Fallstricke steckt. Die Fallstricke und deren Umgehung sollte man lernen, aber nicht darauf hoffen, dass sie der Gegner übersehen möge.
Vabanque - 13. Apr '25
>>in meiner Datenbank wurde die Partie zwischen 1985 und 1992 viermal kopiert und jeweils mit 14...Sxe5 fortgesetzt<<
Interessant, das ist erstaunlich oft, die Frage ist bei sowas aber natürlich immer, ob den jeweiligen Kontrahenten die Vorgängerpartie bekannt war. Es gab damals ja noch keine Datenbanken, zumindest keine allgemein zugänglichen.
Interessant, das ist erstaunlich oft, die Frage ist bei sowas aber natürlich immer, ob den jeweiligen Kontrahenten die Vorgängerpartie bekannt war. Es gab damals ja noch keine Datenbanken, zumindest keine allgemein zugänglichen.