Kommentierte Spiele

Zerstörung der Rochadestellung (I): Hmadi - Vadasz 1995

Vabanque - 13. Apr '25
Häufig wird eine Rochadestellung aufgerissen, wenn ein auf f6 (bei Weiß auf f3) stehender Springer durch einen zuvor auf g5 stehenden weißen (bzw. auf g4 stehenden schwarzen) Läufer geschlagen wird, und der g-Bauer zurückschlagen muss. Dies ist nicht in allen Fällen notwendigerweise ein Nachteil; es kommt immer auf die Stellung der angreifenden und verteidigenden Figuren an.
In vorliegender Partie wird Schwarz so eine Aufreißung seiner Rochadestellung erfahren, aber da er zugleich versäumt hat, den Damenflügel zu entwickeln, wird er den auf seinen Königsflügel zielenden weißen Figuren wenig entgegensetzen können.
Besonders bemerkenswert ist aber die feine, opferreiche Weise, wie der Weißspieler, der tunesische IM Slaheddine Hmadi (geb. 1950) diesen Umstand ausnutzt. Vom 16. Zug an ist fast jeder weiße Zug ein Keulenschlag!

(Thematisch verwandt ist übrigens die Partie Trapl-Plachetka /forum/thread/JrFfwyk6ITVw?sv=4 , woran man sieht, dass bestimmte typische Stellungsstrukturen bzw. Muster auch in unterschiedlichen Eröffnungen immer wieder auftauchen.)

Hmadi, Slaheddine Vadasz, Laszlo It (cat.7), XII | Budapest (Hungary) | 7 | 1995.12.?? | 1:0
8
7
6
5
4
3
2
a
1
b
c
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e
f
g
h
1. e4 c6 2. d4 d5 3. xd5 xd5 4. c4 Sf6 5. Sc3 e6 Diese so genannte Panov-Variante im Caro-Kann ergibt Stellungsbilder, die mehr den Damenbauern-Eröffnungen verwandt sind. 6. Sf3 Lb4 7. Ld3 xc4 8. Lxc4 Nun ist tatsächlich eine Position aus der Nimzowitsch-indischen Verteidigung entstanden. Hier spielt Weiß typischerweise mit einem isolierten Damenbauern, der die merkwürdige Eigenschaft hat, dass er immer dann schwach ist, wenn ich selber ihn habe, sich aber als stark erweist, wenn mein Gegner ihn hat. O-O 9. O-O b6 10. De2 Lb7 11. Td1 Lxc3 Zu diesem Tausch bestand eigentlich noch keine Notwendigkeit. Der dunkelfeldrige Läufer wird Schwarz später fehlen.
Schwarz konnte einfach mit Sbd7 die Entwicklung seines Damenflügels beenden.
12. xc3 Dc7 13. Ld3 Ein Bauernopfer, um den Läufer, der auf c4 wenig ausrichtet, auf ein wirksameres Feld zu bringen. Weiß konnte aber auch zuvor Ld2 oder Lb2 einschalten. Dxc3 Schwarz schnappt zu, was gefährlich, aber noch kein Fehler ist.
Risikoloser war wiederum Sbd7 .
14. Lg5?!
Besser 14. Lb2 , aber oft ist es ja so, dass gerade schwächere Züge den Erfolg bringen, weil sie die größeren Probleme stellen und daher der Gegner die richtige Antwort versäumt. So auch hier.
Da5? Offenbar fürchtet Schwarz Tac1 nebst Tc7 mehr als die Aufreißung seiner Rochadestellung durch Lxf6; sehr zu Unrecht, wie die Folge beweist.
Sbd7! , um die erwähnte Aufreißung zu verhindern, war korrekt. 15. Tac1?! Da5 16. Tc7?? wäre dann überhaupt nicht angängig gewesen wegen Lxf3 mit Gewinn des Lg5.
15. Lxf6 xf6 Der damit verbundenen Schwächung seiner Rochadestellung hatte der Ungar wohl zu wenig Bedeutung beigemessen. Der tunesische IM zieht nun in hübscher Weise Nutzen daraus. 16. d5! Dieses zweite Bauernopfer schneidet der schwarzen Dame den Weg zum Königsflügel ab. Lxd5
Natürlich nicht Dxd5? 17. Lxh7+ mit Damengewinn.
17. Se5! Dieses in solchen Situationen typische Opfer macht der weißen Dame den Weg nach h5 frei. f5 Sperrt wenigstens die Diagonale des Ld3.
Die Annahme xe5? verbietet sich wegen 18. Lxh7+ Kxh7 (die Ablehnung verzögert nur) 19. Dh5+ Kg7 20. Dg5+ Kh7 21. Td3 nebst Matt auf der h-Linie.
18. Dh5 f6? Dieser naheliegende Versuch, den lästigen weißen Springer zu vertreiben, beschleunigt die schwarze Niederlage, aber die Situation war in jedem Fall prekär. 19. Tac1! Wegen der Drohung Tc7 kann Weiß seinen Springer erneut zum Opfer anbieten. b5 Verhindert Tc7, aber nun zeigt es sich, dass der weiße Turm noch eine weitere Drohung in petto hatte.
xe5? 20. Tc7 und Schwarz kann dem Matt auf h7 oder g7 nicht entgehen.
20. Tc8!! Klasse! Wegen des gefesselten Tf8 droht Df7+. Der Zug funktioniert natürlich nur, weil Schwarz es im 11., 13. und 14. Zug jeweils konsequent versäumt hat, den Sb8 zu entwickeln. Nun fällt ihm die fehlende Verbindung der Türme in eklatanter Weise vor die Füße. xe5 Führt zu einem schnellen, aber pikanten Ende.
Die kritische Variante ist Txc8 21. Df7+ Kh8 22. Dxf6+ Kg8 (natürlich hätte Weiß jetzt Dauerschach, so dass Tc8 zumindest ohne jedes Risiko spielbar war, aber es ist mehr drin:) 23. Sf7! (droht Sh6#) h5 24. Sh6+ Kh7 25. Sxf5! (droht Dg7# und legt die Läuferdiagonale frei) xf5 26. Lxf5+ Kg8 27. Lxc8 und Weiß wird bei dem freigelegten schwarzen König mindestens noch weiteres Material erobern (zunächst droht z.B. Dg5+ nebst Dxd5), z.B. Sd7
Dxa2? 28. Le6+!! Lxe6? 29. Td8+ nebst Matt!
28. Dg6+ Kf8 29. Dd6+ Kg7 30. Dxd5 . Es ist zwar kaum anzunehmen, dass Hmadi das bei 20. Tc8 schon alles gesehen hat; aber er wird erkannt haben, dass die weißen Figuren gegen den vereinsamten schwarzen König genügend Furore machen können.
21. Dg5+ Kf7 22. Le2! Droht Lh5#, und es bringt Schwarz auch nichts, den Tc8 zu schlagen, weil dann nämlich Läufer und Dame den schwarzen König allein zur Strecke bringen, man sehe:
22. Le2! Txc8 23. Lh5+ Kf8 24. Df6+ Kg8 25. Lf7+ Kf8 26. Lg6+ Kg8 27. Df7+ Kh8 28. Dxh7# , und diese Standard-Mattführung haben natürlich beide Spieler gesehen (Schwarz freilich zu spät). Ein spektakulärer Sieg des tunesischen IM.
PGN anzeigen[Event "It (cat.7), XII"]
[Site "Budapest (Hungary)"]
[Date "1995.12.??"]
[Round "7"]
[White "Hmadi, Slaheddine"]
[Black "Vadasz, Laszlo"]
[Result "1-0"]
[WhiteElo "2325"]
[BlackElo "2350"]

1. e4 c6 2. d4 d5 3. exd5 cxd5 4. c4 Nf6 5. Nc3 e6 {Diese so genannte
Panov-Variante im Caro-Kann ergibt Stellungsbilder, die mehr den
Damenbauern-Eröffnungen verwandt sind. } 6. Nf3 Bb4 7. Bd3 dxc4 8. Bxc4 {Nun
ist tatsächlich eine Position aus der Nimzowitsch-indischen Verteidigung
entstanden. Hier spielt Weiß typischerweise mit einem isolierten Damenbauern,
der die merkwürdige Eigenschaft hat, dass er immer dann schwach ist, wenn ich
selber ihn habe, sich aber als stark erweist, wenn mein Gegner ihn hat.} 8...
O-O 9. O-O b6 10. Qe2 Bb7 11. Rd1 Bxc3 {Zu diesem Tausch bestand eigentlich
noch keine Notwendigkeit. Der dunkelfeldrige Läufer wird Schwarz später
fehlen.} ( {Schwarz konnte einfach mit} 11... Nbd7 {die Entwicklung seines
Damenflügels beenden.} ) 12. bxc3 Qc7 13. Bd3 {Ein Bauernopfer, um den Läufer,
der auf c4 wenig ausrichtet, auf ein wirksameres Feld zu bringen. Weiß konnte
aber auch zuvor Ld2 oder Lb2 einschalten.} 13... Qxc3 {Schwarz schnappt zu, was
gefährlich, aber noch kein Fehler ist.} ( {Risikoloser war wiederum} 13...
Nbd7 {.} ) 14. Bg5 $6 ( {Besser} 14. Bb2 {, aber oft ist es ja so, dass gerade
schwächere Züge den Erfolg bringen, weil sie die größeren Probleme stellen und
daher der Gegner die richtige Antwort versäumt. So auch hier.} ) 14... Qa5 $2
{Offenbar fürchtet Schwarz Tac1 nebst Tc7 mehr als die Aufreißung seiner
Rochadestellung durch Lxf6; sehr zu Unrecht, wie die Folge beweist.} (14...
Nbd7 $1 {, um die erwähnte Aufreißung zu verhindern, war korrekt.} 15. Rac1 $6
Qa5 16. Rc7 $4 {wäre dann überhaupt nicht angängig gewesen wegen} 16... Bxf3
{mit Gewinn des Lg5.} ) 15. Bxf6 gxf6 {Der damit verbundenen Schwächung seiner
Rochadestellung hatte der Ungar wohl zu wenig Bedeutung beigemessen. Der
tunesische IM zieht nun in hübscher Weise Nutzen daraus.} 16. d5 $1 {Dieses
zweite Bauernopfer schneidet der schwarzen Dame den Weg zum Königsflügel ab.}
16... Bxd5 ( {Natürlich nicht} 16... Qxd5 $2 17. Bxh7+ {mit Damengewinn.} ) 17.
Ne5 $1 {Dieses in solchen Situationen typische Opfer macht der weißen Dame den
Weg nach h5 frei.} 17... f5 {Sperrt wenigstens die Diagonale des Ld3.} ( {Die
Annahme} 17... fxe5 $2 {verbietet sich wegen} 18. Bxh7+ Kxh7 {(die Ablehnung
verzögert nur)} 19. Qh5+ Kg7 20. Qg5+ Kh7 21. Rd3 {nebst Matt auf der h-Linie.}
) 18. Qh5 f6 $2 {Dieser naheliegende Versuch, den lästigen weißen Springer zu
vertreiben, beschleunigt die schwarze Niederlage, aber die Situation war in
jedem Fall prekär.} 19. Rac1 $1 {Wegen der Drohung Tc7 kann Weiß seinen
Springer erneut zum Opfer anbieten.} 19... b5 {Verhindert Tc7, aber nun zeigt
es sich, dass der weiße Turm noch eine weitere Drohung in petto hatte.} (19...
fxe5 $2 20. Rc7 {und Schwarz kann dem Matt auf h7 oder g7 nicht entgehen.} )
20. Rc8 $3 {Klasse! Wegen des gefesselten Tf8 droht Df7+. Der Zug funktioniert
natürlich nur, weil Schwarz es im 11., 13. und 14. Zug jeweils konsequent
versäumt hat, den Sb8 zu entwickeln. Nun fällt ihm die fehlende Verbindung der
Türme in eklatanter Weise vor die Füße.} 20... fxe5 {Führt zu einem schnellen,
aber pikanten Ende.} ( {Die kritische Variante ist} 20... Rxc8 21. Qf7+ Kh8
22. Qxf6+ Kg8 {(natürlich hätte Weiß jetzt Dauerschach, so dass Tc8 zumindest
ohne jedes Risiko spielbar war, aber es ist mehr drin:)} 23. Nf7 $1 {(droht
Sh6#)} 23... h5 24. Nh6+ Kh7 25. Nxf5 $1 {(droht Dg7# und legt die
Läuferdiagonale frei)} 25... exf5 26. Bxf5+ Kg8 27. Bxc8 {und Weiß wird bei dem
freigelegten schwarzen König mindestens noch weiteres Material erobern
(zunächst droht z.B. Dg5+ nebst Dxd5), z.B.} 27... Nd7 (27... Qxa2 $2 28. Be6+
$3 Bxe6 $2 29. Rd8+ {nebst Matt!} ) 28. Qg6+ Kf8 29. Qd6+ Kg7 30. Qxd5 {. Es
ist zwar kaum anzunehmen, dass Hmadi das bei 20. Tc8 schon alles gesehen hat;
aber er wird erkannt haben, dass die weißen Figuren gegen den vereinsamten
schwarzen König genügend Furore machen können.} ) 21. Qg5+ Kf7 22. Be2 $1
{Droht Lh5#, und es bringt Schwarz auch nichts, den Tc8 zu schlagen, weil dann
nämlich Läufer und Dame den schwarzen König allein zur Strecke bringen, man
sehe:} (22. Be2 $1 Rxc8 23. Bh5+ Kf8 24. Qf6+ Kg8 25. Bf7+ Kf8 26. Bg6+ Kg8
27. Qf7+ Kh8 28. Qxh7# {, und diese Standard-Mattführung haben natürlich beide
Spieler gesehen (Schwarz freilich zu spät). Ein spektakulärer Sieg des
tunesischen IM.} ) 1-0
Oli1970 - 01. Mai '25
Ein Musterbeispiel für den Titel dieser Reihe. Der Partie lässt sich sehr gut folgen, zum einen dank der praktisch vollständigen Kommentierung, zum anderen dank der relativ wenigen Varianten, die es zu betrachten lohnt. Trotzdem hat sie hohen lehr- und unterhaltungswert. Letzteres natürlich dank der Opfer. :-)

Im beginnenden Mittelspiel war es zunächst glücklich für Hmadi, dass sein Gegner auf 14. Lg5 lediglich den fehlerhaften Zug Da5 gefunden hat. Die weiße Stellung sieht auf den flüchtigen Blick gar nicht soviel besser aus. Natürlich sind die Figuren bereits Richtung Königsstellung ausgerichtet, aber der isolierte Bauer auf d4 ist eine Angriffsmarke, der Springer scheint an die Deckung des Läufers gebunden und könnte mit Lxf3 wegeräumt werden, Td1 hat keine freie Bahn. Schwarz dagegen hat eine recht ordentliche Bauernstruktur, h7 ist gedeckt, Lxf3 nebst Dxg5 sieht gut aus, noch schnell Sbd7 gespielt und alles wäre fein - die Königsstellungen haben sogar eine gewisse Symmetrie. 15...Sbd7, 16...Lxf3 17. Dxf3 Dxg5 sähe ziemlich gut aus. Dummerweise ist das Zugrecht beim Weißen.

Der 15. Zug verdient vielleicht die Anmerkung, dass es immer eine Überlegung wert ist, sich vom Läuferpaar zu trennen, wenn dadurch die Königsstellung aufgerissen wird. Der Läufer hat zwar lange Bahnen, aber keine direkten Angriffsziele - außer eben Sf6.

Bemerkens- und merkenswert ist 16.d5, da dieser kleine Zug, der noch dazu einen wertvollen Bauern weggibt, die schwarze Dame aus dem Spiel nimmt. Stehenlassen kann Schwarz den Bauern nicht, dann schlägt Lh7+ ein und entscheidet das Spiel.

17.Se5 ist ein weiterer (be-)merkenswerter Zug; ich glaube, es ist schwer sowas in Erwägung zu ziehen, wenn man mit solchen Positionen nicht vertraut ist.

Vermisst habe ich eine Verbesserung von 18...f6, da dieser Zug das Spiel endgültig verliert. Das wäre 18...Sc6 gewesen, was die Türme verbunden hätte. Nach 19.Sd7 (bedroht Tf8 und droht Sf6+ nebst Dxh7) sollte ...Dc3 (zur Deckung von f6) oder nun ...f6 folgen. 19.Sxc6 Lxc6 wäre sogar fast ausgeglichen gewesen.

Ein schöner Zug ist 20.Tc8 - völlig verblüffend und völlig logisch zugleich. Muss man "nur" sehen. :-) Die Mattführung ab dem 23. Zug der Schlussvariante sollte man sich noch einprägen - Dame und Läufer perfekt spielen zusammen.

Danke fürs Zeigen und Kommentieren der Partie!
Vabanque - 03. Mai '25
Und dir, SF Oli1970, vielen Dank für die ausführliche ergänzende Besprechung!

Ja, 18... f6 hatte ich lediglich mit einem Fragezeichen versehen, und keine Alternative geliefert. Dass 18... Sc6 natürlich nicht mit Sxc6, sondern mit Sd7 beantwortet wird, was den Tf8 angreift und zugleich Sf6+ droht, habe ich gesehen, dachte dann aber, es wäre ziemlich offensichtlich, so dass ich es nicht hingeschrieben habe. Danke aber für den Hinweis.

Ja, die Mattführung am Schluss sollte man sich gut merken, sie kommt so oder in ähnlicher Form ziemlich oft vor.

Allgemein denke ich auch, dass Opferpartien besonders hohen Unterhaltungswert haben.

Im Nachhinein scheint es mir aber, dass der Titel der Reihe 'Zerstörung der Rochadestellung' zu trocken war bzw. ist, und daher für potenzielle Nachspielende zu wenig attraktiv.

Dennoch habe ich schon vor längerer Zeit bereits ein drittes Beispiel für die Reihe vorbereitet, das ich gleich noch posten werde.