Kommentierte Spiele

Kreative Spieler der Gegenwart: Morozevich (II)

Vabanque - 05. Nov '17
In dem 2. Teil meiner kleinen Reihe über Alexander Morozevich zeige ich einen Sieg gegen den kubanischen Top-Spieler Lazaro Bruzon Batista, der lange Zeit die Nr. 2 in Kuba und ein Super-GM mit über 2700 Elo war, nun aber (wie so einige andere ehemalige Super-GMs) auch wieder unter 2700 gefallen ist.
Wie dem auch sei, 'Moro' irritiert hier in einem spanischen Standard-Aufbau seinen Gegner wieder einmal durch ungewöhnliche Spielzüge, die nach klassischer strategischer Auffassung eigentlich zweifelhaft sein müssten. Typisch für Moro steht schließlich eine offene wilde Stellung auf dem Brett, von der man schwer glauben kann, dass sie wirklich aus einer modernen GM-Partie stammen soll (man glaubt eher an das 19. Jh. oder an einen Schachtraum).
Natürlich ist dies wieder eine komplizierte Partie (wenn es eine einfache von Morozevich gibt, dann kenne ich sie jedenfalls nicht), aber ich hoffe (wie immer), die Kommentare so gehalten zu haben, dass sie, wenn schon nicht zum vollen Verständnis der Partie, so zumindest zur Möglichkeit beitragen, diese genießen zu können.

Alexander Morozevich Lazaro Bruzon Batista Biel SUI | 6 | 2006.07.30 | C97 | 1:0
8
7
6
5
4
3
2
a
1
b
c
d
e
f
g
h
1. e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Lb5 a6 4. La4 Sf6 5. O-O Le7 6. Te1 b5 7. Lb3 d6 8. c3 O-O 9. h3 Sa5 10. Lc2 c5 11. d4 Dc7 Bisher die ganz vertrauten Pfade des Tschigorin-Systems im geschlossenen Spanier, seit über 100 Jahren schon so gespielt. 12. a3 Aber Moro wäre nicht Moro, wenn er in diesem vertrauten Fahrwasser weiterpaddeln würde. An dieser Stelle weicht er kreativ vom Gewohnten ab. Die Absicht ist natürlich b4; aber schafft dies nicht ein unheilbares 'Loch' auf c4? Typisch Moro ist es aber, gerade die Spielbarkeit solcher auf den ersten Blick anrüchig erscheinender Züge zu beweisen. Ld7 13. b4 xb4 14. xb4 Sc4 15. Sbd2 Sb6 Weiß hat nun die halboffene a-Linie gegen den schwarzen rückständigen Bauern a6, Schwarz die halboffene c-Linie gegen den rückständigen weißen Bauern c3, der auch bereits hängt. Welcher Vorteil bzw. Nachteil wiegt stärker? Diese Frage ist sehr schwierig, wenn überhaupt, zu beantworten. 16. Ta3 Tfc8 17. Lb2 a5!? Der kubanische Spitzenspieler entschließt sich, seinen rückständigen Bauern auf brutale Weise loszuwerden: er opfert ihn. Er schätzt die Lage so ein, dass dieses Opfer nur zeitweiliger Natur ist. Allerdings werden beim Rückgewinn des Bauern gewisse Probleme auftreten, wie wir gleich erleben werden. 18. Txa5 Txa5 19. xa5 Sa4 20. Lxa4 xa4 So war's gedacht gewesen: Weiß kann scheinbar Dxa5 nicht verhindern, wonach Schwarz zufrieden sein könnte. Er hätte dann einen Freibauern auf a4, dessen weißer Gegenpart auf c3 immer noch kümmerlich rückständig aussähe. 21. La3! Die erste Überraschung. Moro zeigt, dass die schwarzen Pläne nicht so einfach zu realisieren sind. Der Zug fesselt den Bauern d6, da der Le7 ungedeckt ist, und droht daher dxe5. So aktiv wirkt der La3 von der 'Blockadeposition' (er blockiert den Freibauern a4) aus! Dass der rückständige Bauer c3 fällt, ist Moro dabei nur willkommen. Dxc3 22. Sb1 Dc6
Dxa5? 23. xe5 gefiel Bruzon völlig zu Recht nicht; er könnte nicht auf e5 nehmen und verlöre auch noch d6.
23. xe5 Sxe4 24. xd6 Lf6 Bruzon entschließt sich zu einem erneuten Bauernopfer, um eine sehr aktive Stellung seiner Figuren zu erreichen. Was er hier natürlich noch nicht ahnen konnte: er wird den Bauern d6 niemals zurückgewinnen, und am Schluss wird dieser sogar zu einem der Nägel zum Sarg des schwarzen Königs werden.
Lxd6?! 25. Txe4 Dxe4
Lxa3 26. Sxa3 Dxe4 27. Dxd7
26. Lxd6 führt zu Materialverlust, obwohl die Lage nicht klar ist.
Sxd6?? 25. Txe7 scheidet natürlich aus.
25. Dd3 Sc5 26. De3 Sb3
Dxd6?? 27. Tc1 verliert entscheidendes Material.
27. Sbd2
27. Lb4 mit Deckung von a5 ist natürlich nicht nach Moros Geschmack. Nun ist er es, der größtmögliche Figurenaktivität anstrebt.
Te8
Nach Sxa5? 28. Se4 Ld8? (Schwarz müsste jetzt die Zerschlagung seiner Königsstellung zulassen) 29. Se5 Db5 30. Sxd7 Dxd7 31. Sc5! würde Weiß durch die Mattdrohung auf e8 gewinnen.
28. Se4 Ld8 Die Zerschlagung seiner Königsburg mittels Sxf6+ lässt Schwarz natürlich nicht zu; außerdem winkt nun endlich wieder der scheinbar unvermeidliche Rückgewinn des Bauern a5. 29. Sd4! Moro findet einen Weg, seinem hochklassigen Gegner eine Gelegenheit zum Straucheln zu geben. Sxd4?! Hier ist es schon. Entweder hat Bruzon erst im nächsten Zug gesehen, dass er sich anschließend wieder nicht auf a5 bedienen kann, oder er hielt seinen Folgezug für gut genug. Andernfalls hätte er das bessere
Dd5 gespielt, wonach die Lage nicht klar gewesen wäre.
30. Dxd4 f6?!
Denn nach dem hastigen Zugreifen Lxa5?? käme brillant 31. Lb2 f6 (erzwungen) 32. Sxf6+!! xf6 33. Dxf6 Txe1+ 34. Kh2 , und das Matt könnte nur noch unter heftigen Materialeinbußen verhindert werden!
Ebenso scheitert f5?? 31. Lb2
Am relativ besten erscheint aber hier Te6 , um 31. Lb2 mit Tg6 beantworten zu können, ohne die Königsburg durch einen Bauernzug durchlässiger zu machen.
31. Te3 Auf die 3. Reihe aufrückende Türme sind in Angriffsstellungen immer ein Gefahrensignal. Moro plante hier natürlich schon das nächste Opfer. Objektiv stärker scheint allerdings tatsächlich der Deckungszug 31. Lb4 (siehe die Anmerkung zum 32. Zug von Weiß), auch wenn dieser Moros Stil widerspricht. Lxa5 Schwarz hat aber nun tatsächlich nichts Besseres als zuzugreifen und den Sturm zu erwarten, denn ein weiterer Sicherungszug auf der Königsseite ist nicht vorhanden. Letztlich wird ironischerweise aber genau die ungedeckte Stellung des La5 Schwarz zum Verhängnis werden. 32. Sxf6+!? Interessanterweise hätte das Opfer bei bester Verteidigung gar nicht mal zum Sieg geführt, sondern nur zum Remis durch Dauerschach. Das bedeutet, dass man dem Kubaner bisher noch keine ernsthaften Fehler ankreiden darf. In einer Fernschachpartie hätte er die Stellung wohl auch gehalten. Nur war dies eine klassiche Turnierpartie, und beide Partner waren bereits in Zeitnot. In einer solchen Situation findet auch ein Spitzenspieler nicht die beste Verteidigung. Der Angreifer mag dann zwar keinen theoretischen Vorteil besitzen, aber praktisch gesehen hat er dennoch gute Gewinnchancen. xf6 33. Tg3+ Kf7 34. Dh4 Weiß droht jetzt nicht nur, den schwarzen König mit Dxh7+ ins Freie zu treiben, sondern vor allem auch Dh5+ mit Eroberung des La5. Te1+
Die Deckung von h7 mittels Lf5 ist nicht möglich wegen 35. Dh5+ Lg6
Ke6 36. Te3+ ist tödlich
36. Dxa5
35. Kh2 De4? Deckt zwar h7, aber verliert nun tatsächlich den La5.
Allem Anschein ist nach Db5! 36. Dxh7+ Ke6 kein Gewinn möglich. Zumindest findet Stockfish keinen, alle von der Engine berechneten Varianten enden letztlich mit Dauerschach. Für ein Spiel unter Turnierbedingungen besagt dies aber trotzdem wenig. Ich glaube, dass es selbst Top-Spieler überfordern dürfte, so eine wilde Stellung am Turnierbrett korrekt einzuschätzen, geschweige denn in Zeitnot zu verteidigen.
Kf8?? 37. Tg8#
Übrigens wäre jetziges Lf5?! 36. Dh5+ Ke6 nach der erfolgten Einschaltung von Te1+ auch nicht mehr so unmittelbar verderblich wie vorher, scheint aber nach 37. Tg7 gefährlich. Auch mit Engine konnte ich nicht klären, ob Schwarz dies halten kann, aber für die Art von Kommentar, den ich hier präsentiere (und der keine Analyse sein soll) ist dies auch nicht so wichtig. Klar ist jedenfalls, dass der Textzug ein Fehler ist - genau die Art von Fehler, die Moro durch sein wildes Spiel herausfordert.
36. Dh5+ Ke6 37. Dxa5 Db1 Vielleicht dachte der Kubaner bei 35... De4, er würde nun genügende Gegenchancen bekommen. Aber Weiß wehrt die Mattdrohung leicht ab, indem er eine eigene (nicht so leicht abzuwehrende) aufstellt! 38. Tg7 Gibt dem König das Fluchtfeld g3 (auf dem er bemerkenswert unangreifbar sein wird!) und droht Te7 matt. Th1+ 39. Kg3 Dd3+ 40. f3 Und auf einmal hat Schwarz kein einziges Schach mehr. Der weiße König hockt auf der Düne, die Füße nur von ganz sanften Wellen umspült, gänzlich unberührt von dem heftigen Sturm der in der Ferne tobt. Db5
Wehrt zumindest die Mattdrohung ab. Vielleicht erkannte Bruzon erst jetzt, dass das geplante Dxa3 an 41. Te7+ Kxd6 42. Dd8 scheitert: Weiß schlägt im nächsten Zug den Ld7 und hetzt dann den schwarzen König schnell zu Tode. Grausame Ironie des Schicksals, dass gerade in dem Moment, wo es Schwarz gelungen ist, sowohl den La3 wie auch den Bauern d6 zu vernichten, ihn der Tod von hinten anfällt.
41. Te7+ Kf5 42. Dc7 Der einfachste Schlusszug: Weiß greift den Ld7 an und droht zugleich Dc2+ mit einer Fülle von Mattbildern, z.B.
42. Dc7 Lc6 versucht Dc2+ zunächst noch zu verhindern
Le6 43. Dc2+ Kg5
Ke5 44. De4#
44. f4+ Kh6 45. Txh7#
43. Dc8+ Kg6
Ld7 44. Dc2+ wie in der anderen Variante
44. Dg8+ Kf5
Kh5 45. Txh7#
45. Dg4#
PGN anzeigen[Event "Biel Int'l Festival"]


[Event "?"]
[Site "Biel SUI"]
[Date "2006.07.30"]
[Round "6"]
[White "Alexander Morozevich"]
[Black "Lazaro Bruzon Batista"]
[Result "1-0"]
[WhiteElo "?"]
[BlackElo "?"]
[ECO "C97"]

1. e4 e5 2. Nf3 Nc6 3. Bb5 a6 4. Ba4 Nf6 5. O-O Be7 6. Re1 b5 7. Bb3 d6 8. c3
O-O 9. h3 Na5 10. Bc2 c5 11. d4 Qc7 {Bisher die ganz vertrauten Pfade des
Tschigorin-Systems im geschlossenen Spanier, seit über 100 Jahren schon so
gespielt.} 12. a3 { Aber Moro wäre nicht Moro, wenn er in diesem vertrauten
Fahrwasser weiterpaddeln würde. An dieser Stelle weicht er kreativ vom
Gewohnten ab. Die Absicht ist natürlich b4; aber schafft dies nicht ein
unheilbares 'Loch' auf c4? Typisch Moro ist es aber, gerade die Spielbarkeit
solcher auf den ersten Blick anrüchig erscheinender Züge zu beweisen.} 12...
Bd7 13. b4 cxb4 14. axb4 Nc4 15. Nbd2 Nb6 {Weiß hat nun die halboffene a-Linie
gegen den schwarzen rückständigen Bauern a6, Schwarz die halboffene c-Linie
gegen den rückständigen weißen Bauern c3, der auch bereits hängt. Welcher
Vorteil bzw. Nachteil wiegt stärker? Diese Frage ist sehr schwierig, wenn
überhaupt, zu beantworten.} 16. Ra3 Rfc8 17. Bb2 a5 $5 {Der kubanische
Spitzenspieler entschließt sich, seinen rückständigen Bauern auf brutale Weise
loszuwerden: er opfert ihn. Er schätzt die Lage so ein, dass dieses Opfer nur
zeitweiliger Natur ist. Allerdings werden beim Rückgewinn des Bauern gewisse
Probleme auftreten, wie wir gleich erleben werden.} 18. Rxa5 Rxa5 19. bxa5 Na4
20. Bxa4 bxa4 {So war's gedacht gewesen: Weiß kann scheinbar Dxa5 nicht
verhindern, wonach Schwarz zufrieden sein könnte. Er hätte dann einen
Freibauern auf a4, dessen weißer Gegenpart auf c3 immer noch kümmerlich
rückständig aussähe.} 21. Ba3 $1 {Die erste Überraschung. Moro zeigt, dass die
schwarzen Pläne nicht so einfach zu realisieren sind. Der Zug fesselt den
Bauern d6, da der Le7 ungedeckt ist, und droht daher dxe5. So aktiv wirkt der
La3 von der 'Blockadeposition' (er blockiert den Freibauern a4) aus! Dass der
rückständige Bauer c3 fällt, ist Moro dabei nur willkommen.} 21... Qxc3 22. Nb1
Qc6 (22... Qxa5 $2 23. dxe5 {gefiel Bruzon völlig zu Recht nicht; er könnte
nicht auf e5 nehmen und verlöre auch noch d6.} ) 23. dxe5 Nxe4 24. exd6 Bf6
{Bruzon entschließt sich zu einem erneuten Bauernopfer, um eine sehr aktive
Stellung seiner Figuren zu erreichen. Was er hier natürlich noch nicht ahnen
konnte: er wird den Bauern d6 niemals zurückgewinnen, und am Schluss wird
dieser sogar zu einem der Nägel zum Sarg des schwarzen Königs werden.} (24...
Bxd6 $6 25. Rxe4 Qxe4 (25... Bxa3 26. Nxa3 Qxe4 27. Qxd7) 26. Bxd6 { führt zu
Materialverlust, obwohl die Lage nicht klar ist.} ) (24... Nxd6 $4 25. Rxe7
{scheidet natürlich aus.} ) 25. Qd3 Nc5 26. Qe3 Nb3 (26... Qxd6 $4 27. Rc1
{verliert entscheidendes Material.} ) 27. Nbd2 (27. Bb4 {mit Deckung von a5 ist
natürlich nicht nach Moros Geschmack. Nun ist er es, der größtmögliche
Figurenaktivität anstrebt.} ) 27... Re8 ( {Nach } 27... Nxa5 $2 28. Ne4 Bd8 $2
{(Schwarz müsste jetzt die Zerschlagung seiner Königsstellung zulassen)} 29.
Ne5 Qb5 30. Nxd7 Qxd7 31. Nc5 $1 { würde Weiß durch die Mattdrohung auf e8
gewinnen.} ) 28. Ne4 Bd8 {Die Zerschlagung seiner Königsburg mittels Sxf6+
lässt Schwarz natürlich nicht zu; außerdem winkt nun endlich wieder der
scheinbar unvermeidliche Rückgewinn des Bauern a5.} 29. Nd4 $1 {Moro findet
einen Weg, seinem hochklassigen Gegner eine Gelegenheit zum Straucheln zu
geben.} 29... Nxd4 $6 {Hier ist es schon. Entweder hat Bruzon erst im nächsten
Zug gesehen, dass er sich anschließend wieder nicht auf a5 bedienen kann, oder
er hielt seinen Folgezug für gut genug. Andernfalls hätte er das bessere} (
29... Qd5 {gespielt, wonach die Lage nicht klar gewesen wäre.} ) 30. Qxd4 f6 $6
( {Denn nach dem hastigen Zugreifen} 30... Bxa5 $4 {käme brillant} 31. Bb2 f6
{(erzwungen)} 32. Nxf6+ $3 gxf6 33. Qxf6 Rxe1+ 34. Kh2 {, und das Matt könnte
nur noch unter heftigen Materialeinbußen verhindert werden!} ) ( {Ebenso
scheitert} 30... f5 $4 31. Bb2) ( {Am relativ besten erscheint aber hier}
30... Re6 {, um} 31. Bb2 {mit} 31... Rg6 { beantworten zu können, ohne die
Königsburg durch einen Bauernzug durchlässiger zu machen.} ) 31. Re3 {Auf die
3. Reihe aufrückende Türme sind in Angriffsstellungen immer ein Gefahrensignal.
Moro plante hier natürlich schon das nächste Opfer. Objektiv stärker scheint
allerdings tatsächlich der Deckungszug 31. Lb4 (siehe die Anmerkung zum 32. Zug
von Weiß), auch wenn dieser Moros Stil widerspricht.} 31... Bxa5 {Schwarz hat
aber nun tatsächlich nichts Besseres als zuzugreifen und den Sturm zu erwarten,
denn ein weiterer Sicherungszug auf der Königsseite ist nicht vorhanden.
Letztlich wird ironischerweise aber genau die ungedeckte Stellung des La5
Schwarz zum Verhängnis werden.} 32. Nxf6+ $5 {Interessanterweise hätte das
Opfer bei bester Verteidigung gar nicht mal zum Sieg geführt, sondern nur zum
Remis durch Dauerschach. Das bedeutet, dass man dem Kubaner bisher noch keine
ernsthaften Fehler ankreiden darf. In einer Fernschachpartie hätte er die
Stellung wohl auch gehalten. Nur war dies eine klassiche Turnierpartie, und
beide Partner waren bereits in Zeitnot. In einer solchen Situation findet auch
ein Spitzenspieler nicht die beste Verteidigung. Der Angreifer mag dann zwar
keinen theoretischen Vorteil besitzen, aber praktisch gesehen hat er dennoch
gute Gewinnchancen.} 32... gxf6 33. Rg3+ Kf7 34. Qh4 {Weiß droht jetzt nicht
nur, den schwarzen König mit Dxh7+ ins Freie zu treiben, sondern vor allem auch
Dh5+ mit Eroberung des La5.} 34... Re1+ ( {Die Deckung von h7 mittels} 34...
Bf5 {ist nicht möglich wegen} 35. Qh5+ Bg6 (35... Ke6 36. Re3+ {ist tödlich} )
36. Qxa5) 35. Kh2 Qe4 $2 {Deckt zwar h7, aber verliert nun tatsächlich den
La5.} ( {Allem Anschein ist nach} 35... Qb5 $1 36. Qxh7+ Ke6 {kein Gewinn
möglich. Zumindest findet Stockfish keinen, alle von der Engine berechneten
Varianten enden letztlich mit Dauerschach. Für ein Spiel unter
Turnierbedingungen besagt dies aber trotzdem wenig. Ich glaube, dass es selbst
Top-Spieler überfordern dürfte, so eine wilde Stellung am Turnierbrett korrekt
einzuschätzen, geschweige denn in Zeitnot zu verteidigen. } (36... Kf8 $4 37.
Rg8#) ) ( {Übrigens wäre jetziges} 35... Bf5 $6 36. Qh5+ Ke6 {nach der
erfolgten Einschaltung von Te1+ auch nicht mehr so unmittelbar verderblich wie
vorher, scheint aber nach} 37. Rg7 {gefährlich. Auch mit Engine konnte ich
nicht klären, ob Schwarz dies halten kann, aber für die Art von Kommentar, den
ich hier präsentiere (und der keine Analyse sein soll) ist dies auch nicht so
wichtig. Klar ist jedenfalls, dass der Textzug ein Fehler ist - genau die Art
von Fehler, die Moro durch sein wildes Spiel herausfordert.} ) 36. Qh5+ Ke6 37.
Qxa5 Qb1 {Vielleicht dachte der Kubaner bei 35... De4, er würde nun genügende
Gegenchancen bekommen. Aber Weiß wehrt die Mattdrohung leicht ab, indem er eine
eigene (nicht so leicht abzuwehrende) aufstellt!} 38. Rg7 {Gibt dem König das
Fluchtfeld g3 (auf dem er bemerkenswert unangreifbar sein wird!) und droht Te7
matt.} 38... Rh1+ 39. Kg3 Qd3+ 40. f3 {Und auf einmal hat Schwarz kein einziges
Schach mehr. Der weiße König hockt auf der Düne, die Füße nur von ganz sanften
Wellen umspült, gänzlich unberührt von dem heftigen Sturm der in der Ferne
tobt.} 40... Qb5 ( {Wehrt zumindest die Mattdrohung ab. Vielleicht erkannte
Bruzon erst jetzt, dass das geplante} 40... Qxa3 {an} 41. Re7+ Kxd6 42. Qd8 {
scheitert: Weiß schlägt im nächsten Zug den Ld7 und hetzt dann den schwarzen
König schnell zu Tode. Grausame Ironie des Schicksals, dass gerade in dem
Moment, wo es Schwarz gelungen ist, sowohl den La3 wie auch den Bauern d6 zu
vernichten, ihn der Tod von hinten anfällt.} ) 41. Re7+ Kf5 42. Qc7 {Der
einfachste Schlusszug: Weiß greift den Ld7 an und droht zugleich Dc2+ mit einer
Fülle von Mattbildern, z.B.} (42. Qc7 Bc6 {versucht Dc2+ zunächst noch zu
verhindern} (42... Be6 43. Qc2+ Kg5 (43... Ke5 44. Qe4#) 44. f4+ Kh6 45. Rxh7#
) 43. Qc8+ Kg6 (43... Bd7 44. Qc2+ {wie in der anderen Variante} ) 44. Qg8+ Kf5
(44... Kh5 45. Rxh7#) 45. Qg4#) 1-0
Kellerdrache - 06. Nov '17
Im Gegensatz zur letzten Moro-Partie, die Du hier gebracht hast, kannte ich diese schon. Sie ist allerdings auch eine meiner Lieblinge, weil Batista lange Zeit ebenbürtig dagegen hält und sich umsichtig verteidigt. Letztendlich gewinnt Morozevitch weil er die Resourcen zum Schlußangriff in einer Stellung sieht in der wir uns vermutlich zurückgelehnt und von einem netten Remis geträumt hätten.
In dieser Hinsicht erinnert er mich an Tal, der ja auch oft Angriffsmöglichkeiten identifizierte wo Andere nur ins fade Nichts starrten.
Ich finde übrigens, dass es Dir durchaus gelungen ist einige der wichtigen Entscheidungen in dieser Partie verständlich zu machen. Jedenfalls verstehe ich sie jetzt deutlich besser als früher (bilde ich mir vielleicht nur ein).
Vabanque - 06. Nov '17
Interessant was du schreibst ... übrigens habe ich diese Art Kommentierung vor allem von amerikanischen Kommentatoren Mitte des 20. Jh. abgeguckt (Reinfeld, Fine, Chernev, um nur die wichtigsten zu nennen) ... sie präsentieren viele Worte, geben nur die wichtigsten Varianten, und vor allem: man hat hinterher das (befriedigte) Gefühl, die Partie verstanden zu haben. Die Sitte, zu jeder Partie eine Art Vorspann zu schreiben, habe ich auch von denen gelernt.

Es wäre halt trotzdem schön, wenn außer uns Beiden sich auch mal jemand anders äußern würde (na gut, bei manchen Partien wars schon so), denn wenn ihr stumm bleibt, gebt ihr damit denjenigen Kritikern Recht, die behaupten, dass wir Beiden, also Kellerdrache und ich, uns unsere Partien und Kommentare auch gegenseitig per PN zuschicken könnten, weil es angeblich sowieso niemanden sonst interessiert.

Ich weiß natürlich, dass letztere boshafte Behauptung nicht stimmt, ich weiß, dass es viele stumme Mitleser gibt, aber wenn man von denen öfters mal was sehen würde, wäre es gar keine so schlechte Sache ... auch wenn es sich um kritische Stimmen handelt! Also traut euch - auch zu negativer Kritik (wenn sie nicht pure Gehässigkeit ist)! Vielleicht würde eine solche Kritik sogar eine willkommene Diskussion in Gang setzen.
MarkD - 06. Nov '17
bin ein stummer Mitleser - bitte weiter so und nicht per PN!
siramon - 06. Nov '17
Ich lese mit Freude und Interesse eure kommentierten Partien. Habt vielen Dank, gerne weiter so :-)

Mir fehlt das schachliche KnowHow um eigene kommentierte Partien hier zu präsentieren oder um eure Überlegungen zu kritisieren, werde mich aber in Zukunft mehr äussern, falls ich etwas nicht verstehe oä. oder mir etwas besonders gefällt - bisher habe ich dafür ausschliesslich die Daumen benutzt :-)

Ich hoffe, dass ihr nicht wirklich solche gehässigen Kommentare bekommen habt (PN oder sowas), falls doch halte ich dies für u... a... S....!

Weiter so und nochmals bedankt!
Grüsse
Rolf
Vabanque - 06. Nov '17
Freilich habe ich PNs mit solchem Inhalt bekommen, sonst würde ich das hier nicht erwähnen ... natürlich war der Schreiber zu feige, dies offen hier ins Forum zu schreiben.
Okute - 06. Nov '17
auch von mir ein "Bitte weiter so!!!" und keinesfalls aufhören.

Ich lese die kommentierten Partien immer mit großem Interesse.

Gruß von der Ostseeküste.

Andreas
aguirre - 06. Nov '17
von mir ebenfalls ein "weiter so", wie ich früher schon mal schrieb, spiele ich viel zu schlecht um hier sinnvolle Kommentare abzugeben, aber ich gehöre zu den "stummen" Lesern und das mit Begeisterung :-)

Grüße
Kellerdrache - 06. Nov '17
Ich verstehe, dass man sich, wenn man selber nicht so der GM ist nicht unbedingt traut eigene Varianten vorzuschlagen. manchmal würde es aber helfen wenn z.B. jemand so etwas schriebe wie "Also warum xc5 nicht gut ist hab ich auch nach deiner Kommentierung noch nicht verstanden. Was soll denn am Läuferpaar in dieser Stellung so toll sein ?" oder "ich kenn die Eröffnung gar nicht. kann man nicht einfach den Bauern auf e5 schlagen ?" Dann wüssten wir beiden eben wo wir beim nächsten Mal ausführlicher sein müssen. Selbst so "dumme" Fragen könnten uns schon helfen. Weil jedesmal wenn ich entscheide welche Varianten ich jetzt in die Kommentierung übernehme frage ich mich ob sie dem Verständnis der Partie dient oder nicht. In Ermangelung eurer Kommentare kann ich das dann nur nach meinem eigenen Verständnis tun.
Also wagt euch ruhig was zu schreiben. Expertenstatus ist dafür nicht notwendig ;-))
Vabanque - 06. Nov '17
Gut gebrüllt, Drache! Schließe mich da vollkommen an.
S2000 - 13. Nov '17
ich gestehe, dass ich die partie "nur" durchgeklickt und die kommentare dazu gelesen habe. ein lob an den verfasser! kurzweilig und spannende partie. allerdings stellt sich bei mir "verstaendnis" nur ein, wenn ich die stellung am brett aufbaue und bruehte. aber das geht wahrscheinlich nicht nur mir so...weiter so.