Kommentierte Spiele

Deutsche Schachgeschichte (IV): Mieses

Kellerdrache - 07. Jul '17
Jacques Mieses ist den heutigen Schachfreunden hauptsächlich als Schachautor und -redakteur bekannt. Viele werden vielleicht sogar überrascht sein, dass er Deutscher war. Sein Name klingt französisch und er gilt bis heute als erster Großmeister Englands. Nun, Mieses wurde als deutscher Jude geboren. Als die Nazis an die Macht kamen und sich die Feindseligkeiten häuften siedelte er nach Großbritannien um, wo er bis zu seinem Lebensende wohnte.

Seinen Zeitgenossen war er als gefürchteter Angriffsspieler bekannt. Vor allem mit den offenen Eröffnungen beschäftigte er sich auch theoretisch. Einige der von ihm entwickelten Varianten wie die Mieses Variante der schottischen Eröffnung werden auch heute noch gerne gespielt.

Die unten folgende Partie ist sicher eine seiner kürzesten, zeigt aber sehr schön sein tiefgreifendes Stellungsverständnis. Sein Gegner baut seinen Angriff optimistisch auf einer kleinen Kombination auf und unterschätzt die Nachteile seines Plans.

James Marston Craddock Jacques Mieses London, England | London ENG | 1939 | A25 | 0:1
8
7
6
5
4
3
2
a
1
b
c
d
e
f
g
h
1. c4 e5 2. Sc3 Sc6 3. g3 Sf6 Englisch gehört zu den Eröffnungen die in diesen Jahren noch nicht wirklich erforscht waren. Mieses stellt sich nach klassischen Prinzipien auf. 4. Lg2 Lb4 Missfällt einem die Aussicht auf verdoppelte Bauern könnte man hier auch Dc2 oder Db3 spielen. 5. e3 bereitet ein späteres d4 vor. Allerdings schwächt Weiß auch seine weißen Felder, vor allem d3 und f3. Wir werden sehn, dass dies in dieser Partie noch eine Rolle spielt d6 6. Sge2 Lg4 7. Db3 Ein Zug mit dem wir in einer unserer eigenen Partien vermutlich sehr zufrieden wären. Im nächsten Zug bekommt der Lb4 einen Tritt. Nach dem notwendigen Rückzug fällt dann b7 mit Angriff auf den Springer c6 Tb8 8. Sd5 ein stark aussehender Zug, der den gut stehenden Läufer vertreibt und eine verführerische Kombination vorbereitet. Lc5
Sxd5 9. xd5 und Schwarz kann sich entscheiden ob er den Sc6 oder den Lb4 hergeben will
9. Sxf6+ mehr als nur ein Abtausch. Nimmt Schwarz jetzt mit der Dame fällt der Sc6, da der b-Bauer ja dann wegen des ungedeckten Tb8 gefesselt wäre. So jedenfalls hatte Craddock gerechnet. Seine Kalkulationen sind auch keineswegs fehlerhaft. Er erreicht genau das was er sich bei der eingeleiteten Zugfolge vorgestellt hatte. Doch Mieses rechnete weiter als er Dxf6 hat Mieses meinen letzten Kommentar ignoriert ? Craddock hatte vermutlich eher mit gxf6 gerechnet. In seiner Freude über den meisterlichen Patzer uberhört er die warnenden Stimmen in seinem Hinterkopf 10. Lxc6+ gewinnt eine Figur, da Schwarz ja nicht gut zurücknehmen kann, oder ? xc6 Hoppla! Schwarz opfert beide Türme, da nach Dxb8+ 11...Kd7 auch noch der Th8 fällt 11. Dxb8+ Kd7 12. Dxh8 Df3 und tatsächlich ist die Partie bereits verloren. Durch 5.e3 und vor allem durch die Hergabe des weißfeldrigen Läufers mit Lxc6+ bleiben die hellen Felder völlig ohne Verteidigung
Df3 13. Kd1
13. Sc3 Dxh1#
13. Kf1 Dxe2+ 14. Kg2 Df3+ 15. Kf1 Dxh1#
Dxe2+ 14. Kc2 Lf5+ 15. Kc3 Dd3#
PGN anzeigen

[Event "London, England"]
[Site "London ENG"]
[Date "1939.??.??"]
[White "James Marston Craddock"]
[Black "Jacques Mieses"]
[Result "0-1"]
[ECO "A25"]
[PlyCount "24"]
[EventDate "1939.??.??"]

1. c4 e5 2. Nc3 Nc6 3. g3 Nf6 {Englisch gehört zu den Eröffnungen die in
diesen Jahren noch nicht wirklich erforscht waren. Mieses stellt sich nach
klassischen Prinzipien auf.} 4. Bg2 Bb4 {Missfällt einem die Aussicht auf
verdoppelte Bauern könnte man hier auch Dc2 oder Db3 spielen.} 5. e3 {
bereitet ein späteres d4 vor. Allerdings schwächt Weiß auch seine weißen
Felder, vor allem d3 und f3. Wir werden sehn, dass dies in dieser Partie noch
eine Rolle spielt} d6 6. Nge2 Bg4 7. Qb3 {Ein Zug mit dem wir in einer unserer
eigenen Partien vermutlich sehr zufrieden wären. Im nächsten Zug bekommt der
Lb4 einen Tritt. Nach dem notwendigen Rückzug fällt dann b7 mit Angriff auf
den Springer c6} Rb8 8. Nd5 {ein stark aussehender Zug, der den gut
stehenden Läufer vertreibt und eine verführerische Kombination vorbereitet.}
Bc5 (8... Nxd5 9. cxd5 {
und Schwarz kann sich entscheiden ob er den Sc6 oder den Lb4 hergeben will}) 9.
Nxf6+ {mehr als nur ein Abtausch. Nimmt Schwarz jetzt mit der Dame fällt der
Sc6, da der b-Bauer ja dann wegen des ungedeckten Tb8 gefesselt wäre. So
jedenfalls hatte Craddock gerechnet. Seine Kalkulationen sind auch keineswegs
fehlerhaft. Er erreicht genau das was er sich bei der eingeleiteten Zugfolge
vorgestellt hatte. Doch Mieses rechnete weiter als er} Qxf6 {hat Mieses meinen
letzten Kommentar ignoriert ? Craddock hatte vermutlich eher mit gxf6
gerechnet. In seiner Freude über den meisterlichen Patzer uberhört er die
warnenden Stimmen in seinem Hinterkopf} 10. Bxc6+ {
gewinnt eine Figur, da Schwarz ja nicht gut zurücknehmen kann, oder ?} bxc6 {
Hoppla! Schwarz opfert beide Türme, da nach Dxb8+ 11...Kd7 auch noch der Th8
fällt} 11. Qxb8+ Kd7 12. Qxh8 Qf3 {und tatsächlich ist die Partie bereits
verloren. Durch 5.e3 und vor allem durch die Hergabe des weißfeldrigen Läufers
mit Lxc6+ bleiben die hellen Felder völlig ohne Verteidigung} (12... Qf3 13.
Kd1 (13. Nc3 Qxh1#) (13. Kf1 Qxe2+ 14. Kg2 Qf3+ 15. Kf1 Qxh1#) 13... Qxe2+ 14.
Kc2 Bf5+ 15. Kc3 Qd3#) 0-1

Vabanque - 08. Jul '17
Knackige Kurzpartie, die doch besonders SF pirc_ gefallen dürfte ;)

Am beeindruckendsten finde ich, dass Mieses die ganze Schlusskombination wohl schon bei 7.... Tb8! gesehen haben muss, denn sonst wäre - wie du im Kommentar ja auch schreibst - 8. Sd5 wirklich sehr stark.

Es ist am Schluss wirklich verblüffend, dass Weiß absolut keine Verteidigung gegen das Matt hat.

15. Kb3 (in der Schlussvariante) statt Kc3 verzögert allerdings das Matt noch um ein paar Züge, deswegen hätte ich präziser 14... Dxc4+ (statt Lf5+) 15. Kb1 Dd3# gezogen :)
In der Variante 13. Kf1 Dxe2+ kann Weiß ebenfalls mit 14. Kg1 Dd1+ 15. Kg2 Df3+ 16. Kg1 Lh3 noch um insgesamt 2 Züge verzögern :-))
Witzig wäre auch 13. 0-0 Lh3.

Craddock muss es tatsächlich erst nach 12... Df3 gedämmert haben, dass er dem Matt nicht entrinnen kann, sonst hätte er die Türme nicht genommen. Aber auch ohne dies stand er bereits schlechter.

Die Partie könnte auch Teil einer fiktiven Reihe 'Sommerlich leichte Schachkost' sein, da bei der momentanen Hitze (auch wenn schon kommende Woche die große Kälte folgen soll) schwierigere Partien kaum zu verdauen sein dürften ...