Kommentierte Spiele
Judit Polgar-Special: J. Polgar - Topalov 2010
Vabanque - 19. Jan '14
Das Königsgambit 1. e4 e5 2. f4 ist eine der ältesten Schacheröffnungen überhaupt. Es war - neben dem Evansgambit - die bevorzugte Waffe der 'Romantiker', also der großen Meister um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Nachdem man die schwarze Verteidigung deutlich verstärkt hatte, kam es um die Jahrhundertwende aus der Mode, und bereits in der ersten Hälfte des 20. Jh. wurde das Königsgambit totgesagt. Rudolf Spielmann verfasste seinerzeit sogar einen witzigen Aufsatz 'Vom Krankenlager des Königsgambits' (1924). Doch um die Mitte des 20. Jh. herum sorgten kreative Spieler, wie Bronstein und Spassky, für eine gelegentliche erfolgreiche Wiederbelebung dieser uralten Eröffnung. Fischer wiederum glaubte das Königsgambit komplett widerlegt zu haben. Gegen Ende des 20. Jh. ist es wohl auf internationalem Top-Niveau kaum mehr aufgetaucht (aber ich lasse mich gerne eines Besseren belehren, es wäre schön, wenn in dieser Rubrik mal so viel Widerspruch käme wie im 'allgemeinen' chessmail-Forum ;) ). Umso überraschender ist diese Partie, die erst vor wenigen Jahren gespielt wurde. Judit Polgar packt das Königsgambit gegen den absoluten Weltspitzenmann Topalov aus, und gewinnt mit scheinbarer Leichtigkeit in weniger als 30 Zügen. Noch dazu wählt sie eine Variante (das Läufergambit 3. Lc4), die selbst Anfang des 20. Jh. kaum mehr probiert wurde (bekannt sind fast nur Partien mit dem Königsspringergambit 3. Sf3). Hinterher hat man gesagt, es sei Topalov schachlich wohl nicht gut bekommen, kurz zuvor geheiratet zu haben. Andere schüttelten den Kopf über Topalovs doch so schwache Züge, vor allem seinen 19. Zug. Es muss jedoch gesagt werden, dass in diesen extrem offenen Stellungen, zu denen solche alten Eröffnungen führen, auf Schritt und Tritt Fallstricke lauern, und jeder noch so natürlich und logisch aussehende Zug ein krasser Fehler sein kann, der auf der Stelle ins Verderben führt. Genauso geschah es in dieser Partie.































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Judit Polgar Veselin Topalov Ajedrez UNAM Quadrangular | Mexico City MEX | 2.4 | 2010.11.21 | C33 | 1:0
8








7








6
5
4
3
2








a
1

b

c

d

e

f

g

h

1. e4 e5 2. f4 Eine psychologische Eröffnungswahl. Moderne Spieler sind auf solche alten Varianten nicht vorbereitet, und haben deswegen auch keine Erfahrung mit den Stellungstypen, die dabei herauskommen. xf4 Man kann das Gambit auch auf verschiedene Arten ablehnen, z.B. mit Lc5, oder mit d7-d5 das Falkbeersche Gegengambit spielen. 3. Lc4 Das erwähnte Läufergambit, dessen letzter großer Spezialist der sehr jung verstorbene ungarisch-tschechische Meister Charousek (1873-1900) war. Es gelang Charousek seinerzeit sogar, den damaligen Weltmeister Lasker mit dieser Spielweise zu besiegen. Gustav Meyrink hat in seinem okkulten Roman 'Der Golem' Charousek ein literarisches Denkmal gesetzt. Doch nun zurück ins 21. Jahrhundert! d5 Dieser Gegenstoß ist meistens im Königsgambit zu empfehlen, da er die schwarze Entwicklung unter Bauern-Rückopfer mit Tempo beschleunigt. Daran hat sich Topalov an dieser Stelle noch erinnert. Im Königsspringergambit 3. Sf3 gilt d5 nach wie vor als eine der besten Verteidigungen. Im Königsläufergambit wird der Zug als nicht ganz so gut eingeschätzt. 3. ... Sf6 gilt als stärker. 4. xd5 4. Lxd5 ist häufiger gespielt worden, und erscheint auf den ersten Blick logischer, da das Schlagen mit dem Bauern den Lc4 begrenzt. Aber dafür öffnet sich die e-Linie (die momentan zwar kaum nutzbar erscheint, die jedoch in vorliegender Partie in entscheidender Weise genutzt werden wird!), und Schwarz bekommt nicht sofort ein Tempo mit Sf6. Dh4+ Dieses Schach ist der Grund, warum man meist 3. Sf3 spielt. 5. Kf1 Die Idee des Läufergambits ist aber unter anderem, dem weißen König das Feld f1 frei zu machen und danach durch Sf3 mit Angriff auf die schwarze Dame ein Entwicklungstempo zu gewinnen. Ld6 Schwarz blockiert den weißen Bauern d5, so dass es nicht so leicht sein wird, dem Lc4 wieder Wirksamkeit zu verschaffen. Aber nun, wir werden sehen. 6. Sf3 Dh5 7. Sc3 Se7 Nach Sf6 wäre De2+ etwas störend. 8. d4 O-O Man sieht, dass der Ld6 den Gambitbauern f4 deckt; ein weiterer Vorteil des Zuges Ld6. 9. Kf2 Weiß führt nun mit diesem und dem nächsten Zug eine Art 'künstliche Rochade' durch. Eigentlich erscheint dies zunächst zu langsam, wegen des folgenden Manövers von Schwarz. Sd7 10. Te1 Sb6 Nun gewinnt Schwarz also den Bauern d5, oder? 11. Lb3 Sxd5 12. Sxd5 Sxd5 13. c4! Se3 Erzwungen, denn auf jeden anderen Zug des schwarzen Springers folgt c4-c5 und der Ld6 hat keinen Zug! So leicht kann man einen Läufer einbüßen! Deswegen war es wichtig, dass der weiße Turm nach e1 ging. 14. Lxe3 xe3+ 15. Txe3 Schwarz musste also den soeben gewonnen Bauern wieder zurückgeben, was aber die Diagonale seines Ld6 scheinbar frei geräumt hat. Lf5 Lxh2 würde natürlich wegen Dh1 eine Figur einbüßen, weil die Dh5 ungedeckt ist. Im Hinblick auf den nächsten weißen Zug hätte Schwarz aber vermutlich besser selber c5 gespielt, auch wenn Weiß dann mit d4-d5 einen gedeckten Freibauern erhielte. 16. c5 Mit Tempo wird die Diagonale des weißen Läufers wieder freigelegt. Lf4 Der Läufer steht jetzt schon irgendwie unbequem. 17. Te7 Dazu kommt noch, dass dieses Feld jetzt für den weißen Turm betretbar wurde. Schwarz kann nicht einfach auf der e-Linie mit Tae8 opponieren wegen Lxf7+! Lg4 Weiß dieser Läufer denn, wohin er will? Aber Schwarz hat nun die tückische Drohung Lxf3 nebst Dh4+ mit Gewinn des weißen Te7, was zum Beispiel auf h2-h3 (um den jetzt tatsächlich auch bedrohten Bauern h2 zu sichern) erfolgen würde. 18. Te4! Das erinnert auf den ersten Blick etwas an den unentschlossenen schwarzen weißfeldrigen Läufer, aber Judit weiß sehr wohl, was sie hier will. Nun ist der Turm gerettet, der Lf4 bedroht, und Lxh2 geht wieder nicht, diesmal wegen Txg4 nebst Sxh2. Unter der Oberfläche lauert hier sehr viel taktisches Geplänkel. Man könnte freilich auch von einem Minenfeld sprechen, auf dem jeder kleinste unbedachte Schritt sofort ins Verderben führt. Df5 Auf Lxf3 Dxf3 könnte Schwarz wieder nicht auf h2 schlagen, da h5 und f4 gleichzeitig hingen. Und nach Damentausch auf f3 ginge das Schlagen auf h2 auch nicht, wegen g3 mit Einsperrung des Läufers und anschließender Eroberung durch Kg2. Topalov deckt den Lf4 mit Angriff auf e4. Risikoärmer war wohl Lg5. Vielleicht wollte Topalov die Stellung möglichst verwickelt halten, was ihm ohne Zweifel auch gelang - wenn auch nicht zu seinem eigenen Vorteil. 19. Lc2 Jetzt ist nicht nur der Te4 gedeckt, Schwarz muss auch ständig alle möglichen Abzüge des Te4 mit Angriff auf die schwarze Dame im Auge behalten, die er nicht einfach vermeiden kann, weil seine Dame ja den Lf4 bewachen muss. Kein Wunder, dass jetzt gleich der Fehler passiert: Lh5?? Es ist schon richtig, dass dies der Verlustzug ist. Aber Schwarz hat sich durch seine vorherigen Züge in eine Lage gebracht, in der die korrekten Züge nicht mehr so einfach zu finden waren. Jeder Amateur analysiert heute solche Partien mit Engines wie Rybka, Stockfish, Houdini oder Komodo, die ihm innerhalb weniger Sekunden sagen, dass Schwarz hier theoretisch immer noch eine ausgeglichene Position erreichen konnte mit Tad8 oder Lg5. Das ist aber nicht unmittelbar zu sehen (und auch hinterher nicht so einfach per menschlicher Analyse zu begründen), da der Mensch halt nicht rechnen kann wie ein Computer. Der Mensch sieht die Bindung, in die seine Figuren hineingeraten sind, er sieht die ganzen Abzugsmöglichkeiten des Te4, die wie ein Damoklesschwert über seinem Haupt hängen, gerät in Panik und macht einen falschen Zug. Möglicherweise wollte Topalov Lg6 vorbereiten, aber dazu kommt es nicht. Der unentschlossen 'umhereiernde' Läufer bildet schon ein witziges Anti-Motiv in dieser Partie. 20. Te5! Nun hat Weiß tatsächlich einen entscheidenden Turmabzug. Lxf3 Entweder hatte Topalov übersehen, dass Dg4 an Lf5 scheitert, oder er hatte sich auf diesen Zug verlassen ... 21. Kxf3! ... und dafür das reichlich ungewöhnliche Wiedernehmen mit dem König übersehen! Freilich ging Dxf3 nicht wegen Dxc2; Judit musste aber in der Vorausberechnung bei Te5 sicher sein, dass ihrem König da in der Mitte nichts passieren kann, trotz allem schweren Geschütz, das noch auf dem Brett ist. Df6 Die Dame muss den Lf4 weiterhin gedeckt halten. Auf Dd7 würde der Chef auf f4 einfach zugreifen, und so seltsam das aussieht, es kann nichts passieren, weil die schwarzen Figuren nicht so aufgestellt sind, dass sie ihm etwas anhaben könnten. 22. Tf5 Eine Figur ist verloren und damit auch die Partie. Dh6 23. Txf4 Tae8 Dxh2 24. Dh1 käme der Weißen nur entgegen, da Damentausch erzwungen wäre. 24. Dd3 f5 Jetzt wäre auf Dxh2 25. Df5 mit der Drohung Dh3 (und wieder Damentausch) sehr stark gewesen. Mit dem Textzug droht Schwarz mit g7-g5 sogar zu gewinnen, da der weiße Turm dann gefangen wäre und nicht auf f5 nehmen könnte wegen Turmtausch und Tf8 mit Damengewinn. 25. h4 Judit verhindert natürlich sofort diesen böswilligen Trick. Übrigens konnte sie an dieser Stelle sogar auf f5 nehmen, da auf 25. Txf5 Txf5 26. Dxf5 Tf8 gar nicht geht wegen Lb3+, und der schwarze König müsste den Tf8 im Stich lassen. Käme Schwarz aber zu g5, so würde die Dh6 den Tf8 noch einmal decken, und die weiße Dame wäre wirklich weg. Mit dem Textzug lässt sich Weiß jedenfalls auf nichts ein. Te4 Ein allerletzter Witz: auf 26. Txe4 fxe4+ 27. Kxe4 würde Schwarz mit De6 mattsetzen! 26. Dd2 Weiß deckt damit einfach den Tf4 und droht jetzt mit dem Läufer auf e4 zu nehmen. Te7 Enttäuscht darüber, dass seine Mission auf e4 so gar nichts ausgerichtet hat, zieht sich der Turm wieder zurück. Aber es ist völlig egal, was Schwarz noch spielt. 27. Te1 Weiß führt die letzte verbleibende Figur ins Spiel, und es ist sonnenklar, dass Schwarz rein gar nichts für seine verlorene Figur hat. Deshalb gab er hier auf. Topalov hat im Gewirr des Mittelspiels in einem für ihn ungewohnten Stellungstyp die Orientierung verloren und ist sang- und klanglos untergegangen. Eine Partie voller lehrreicher und unterhaltsamer taktischer Kniffe.
cutter - 19. Jan '14
Toll!
CALIDA - 19. Jan '14
@ Vabanque
ich finde deine kommentierten Partien hervorragend und sehenswert und möchte Dir hierbei meinen Dank und Anerkennung für deine Arbeit aussprechen.
Werden diese Partien auch im Wiki gespeichert ?
LG CALIDA
ich finde deine kommentierten Partien hervorragend und sehenswert und möchte Dir hierbei meinen Dank und Anerkennung für deine Arbeit aussprechen.
Werden diese Partien auch im Wiki gespeichert ?
LG CALIDA
Vabanque - 19. Jan '14
Danke für die Blumen!
Wie stellt man die Partien ins Wiki?
Wie stellt man die Partien ins Wiki?
CALIDA - 19. Jan '14
@ Vabanque
frage mal FrankMayer.
Diese von Dir kommentierten Partien gehören meines Erachtens nach ebenfalls in die cm- History....denn sie sind einmalig und dürfen nicht auf Zeit gesehen, in einem Forum untergehen.
LG CALIDA
frage mal FrankMayer.
Diese von Dir kommentierten Partien gehören meines Erachtens nach ebenfalls in die cm- History....denn sie sind einmalig und dürfen nicht auf Zeit gesehen, in einem Forum untergehen.
LG CALIDA
cutter - 19. Jan '14
Hallo Vabanque,
es ist nicht mit Frank Mayers Beiträgen vergleichbar. Die würden ohne Wiki wirklich untergehen.
Aber die "Kommentierten Spiele" sind ja ein spezielles Forum und da gehen sie nicht unter.
Klicke mal auf "Zum Forum Kommentierte Spiele", dann siehst du das Erscheinungsbild.
Wenn es dir nicht genügt, dann musst du im Wiki einen sinnvollen Platz suchen und dort ein Dokument öffnen, wo du deine Beiträge verlinkst. Die Links würden aber wieder auf das Forum "Kommentierte Spiele" zeigen...
Grüße cutter
es ist nicht mit Frank Mayers Beiträgen vergleichbar. Die würden ohne Wiki wirklich untergehen.
Aber die "Kommentierten Spiele" sind ja ein spezielles Forum und da gehen sie nicht unter.
Klicke mal auf "Zum Forum Kommentierte Spiele", dann siehst du das Erscheinungsbild.
Wenn es dir nicht genügt, dann musst du im Wiki einen sinnvollen Platz suchen und dort ein Dokument öffnen, wo du deine Beiträge verlinkst. Die Links würden aber wieder auf das Forum "Kommentierte Spiele" zeigen...
Grüße cutter