Kommentierte Spiele
Aronian-Special: Sokolov - Aronian 2006
Vabanque - 14. Jan '14
Von dem armenischen Senkrechtstarter und momentanen Weltranglisten-Zweiten Levon Aronian haben wir ja bereits einen sehr schönen Sieg gegen Anand gesehen (Teil VII der Reihe 'Große Partien'). Die folgende Partie zeigt Aronians Stil aber vielleicht noch besser, obwohl sie größtenteils auf exzellenter Eröffnungsvorbereitung basiert. Aronian ist ein ausgeprochen taktisch orientierter Spieler, der sich um positionelle Erwägungen wie Bauern- und Felderschwächen wenig kümmert. Er sucht immer Chancen zu kombinieren, und zwar möglichst schnell. Hier gelingt ihm ein Schwarzsieg in weniger als 20 Zügen gegen den starken bosnischen (und jetzt in Holland lebenden) GM Ivan Sokolov (der übrigens gegen Aronian immer schlecht auszusehen scheint; bisher konnte er noch kein einziges Mal gegen ihn gewinnen).































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Ivan Sokolov Levon Aronian 37th Chess Olympiad | Turin ITA | 7 | 2006.05.28 | E35 | 0:1
8








7








6
5
4
3
2








a
1

b

c

d

e

f

g

h

1. d4 Sf6 2. c4 e6 3. Sc3 Lb4 4. Dc2 Von den vielen Fortsetzungen, die Weiß in der Nimzowitsch-indischen Verteidigung an dieser Stelle zur Verfügung stehen, ist dies vielleicht die älteste; sie ist aber immer noch aktuell. Weiß vermeidet den Doppelbauern und kontrolliert das Feld e4. d5 Die klassische Antwort. Logisch ist aber auch c7-c5, um auszunutzen, dass Weiß mit Dd1-c2 seine Kontrolle von d4 geschwächt hat. Einem ähnlichen Zweck dient an dieser Stelle der Zug Sc6, der aber zugleich auf späteres e6-e5 hinzielt. 5. xd5 xd5 6. Lg5 c5 Die aggressivste Spielweise. Aronian möchte mit Schwarz so schnell wie möglich die Initiative übernehmen. Die Isolierung seines d-Bauern fürchtet er nicht. 7. xc5 h6 8. Lh4 g5 Wieder sehr scharf, aber konsequent. Schwarz möchte das Geschehen diktieren, wofür er die Schwächung seiner Königsflanke in Kauf nimmt. Solche Züge können sich nur geübte Spieler leisten. 9. Lg3 Se4 Bei Betrachtung der Stellung fällt auf, dass sämtliche Figuren des weißen Königsflügels noch unentwickelt in der Ausgangsposition stehen. Wer aber konnte an dieser Stelle voraussehen, dass sie es bis zum Ende der Partie so bleiben würden? 10. Lxb8 Sokolov glaubt mit diesem Zug den Lb4 zu einer Erklärung zwingen zu können, da Schwarz jetzt wegen Da4+ und Läufergewinn nicht sofort auf b8 zurückschlagen kann. Was sonst als den Zwischenzug Lxc3+ sollte Schwarz hier auch spielen können, wenn er den Läufer nicht einbüßen möchte? Df6!! Aronian zaubert ein Kaninchen aus dem Hut! Ebenfalls ein Zwischenzug, aber von der unerwarteten Art! Dieser Zug war den Theoretikern bisher entgangen, vermutlich auch deswegen, weil man so daran gewöhnt ist, dass die schwarze Dame in Stellungen dieses Typs c3 von a5 her angreift (was hier aber nicht geht wegen der Antwort Le5), dass man mit einem Angriff von der anderen Flanke nicht rechnet. Nun droht nicht nur Sxc3 (wonach kein Wiedernehmen auf c3 möglich ist), sondern auch Dxf2+ nebst Dxf1 matt! 11. Lg3 Deckt die letztere Drohung und sichert den Läufer. Sxc3 Schwarz gewinnt so die Figur zunächst zurück, da Weiß wegen Verlust des Turms a1 nicht bxc3 schlagen darf. Es drohen jetzt aber gewinnbringende Abzüge des Springers, vor allem nach vorherigem Lf5. 12. a3 Das übliche Verfahren ist solchen Stellungen besteht darin, die fesselnde Figur anzugreifen. Das ist aber gleichzeitig hier auch die einzige Möglichkeit. Interessant ist, dass Engines selbst bei hoher Rechentiefe hier die weiße Stellung für vorteilhaft halten. Hier zeigt sich eben mal wieder der Unterschied zwischen Computerschach und menschlichem Schach. Gegen einen Computer würde Aronian so eine Variante mit Schwarz mit Sicherheit nicht wählen, da der Computer sich vollkommen cool und präzise verteidigen würde, und am Ende Aronian wahrscheinlich in einem Endspiel landen würde, wo er Probleme mit seiner schlechteren Bauernstellung hat. Gegen einen menschlichen Spieler, selbst einen sehr starken, sieht die Lage dagegen vollständig anders aus. Die weiße Stellung spielt sich unter Turnierbedingungen extrem unangenehm. Lf5 13. Dd2 Es geht nur dieses Feld! Dc1 Sa2+ kostet sofort die Dame, während auf Db3 La5 Weiß keine Möglichkeit mehr hat, die Fesselung mit b4 abzuschütteln. La5 14. b4 Sieht nach dem Gesagten plausibel aus, aber verliert. Momentan könnte Weiß Abzüge des Sc3 ja noch mit Dxa5 beantworten, so dass er gerade noch Zeit hätte, sich endlich um die Entwicklung des Königsflügels zu kümmern. Dafür kommen die Züge 14. e3 und 14. Sf3 in Frage. Nach der Partie wurde verschiedentlich behauptet, Weiß wäre mit e3 hier sogar in Vorteil gekommen. Aber in zwei späteren Partien antwortete Schwarz jeweils O-O-O und gewann; wieder ein Beweis dafür, wie schwer sich die weiße Stellung in der Praxis spielt. Am ratsamsten wäre wohl Sf3 gewesen, nach der praktisch forcierten Folge Sb1 15. Dxa5 Dxb2 (droht Dc1 matt!) 16. Da4+ (um die Möglichkeit des Zwischensetzens auf d1 zu haben und dann den Ta1 mit Le5 zu retten) Ld7 17. Le5 Sc3! (unterbricht die Läuferdiagonale und droht wieder Dxa1+) 18. Dd1! Sxd1 19. Lxb2 Sxb2 entsteht ein vermutlich ungefähr gleich stehendes Endspiel. Se4 Jetzt sind die weiße Dame und der Ta1 zugleich angegriffen. 15. Dc1 Das einzig mögliche Feld, da auf Dd1 oder Da2 Schwarz mit Dc3+ sofort gewinnen würde. Aber hält der Textzug denn nicht alles? Muss Schwarz jetzt seinen La5 zurückziehen, worauf Weiß Atem schöpfen und endlich seinen Königsflügel entwickeln kann? Tc8! Ld8 oder Sxg3 hxg3 Lc7 wären jeweils tatsächlich für Weiß vorteilhaft. Schwarz darf in solchen Stellungen nicht für einen Zug mit seinen Drohungen nachlassen. Auf den Textzug droht Txc5 wegen der Fesselung des Bauern b4, und wenn Weiß den Läufer a5 nimmt, kommt ebenfalls Txc5, wonach die weiße Dame nicht mehr gleichzeitig den Turm a1 und das Feld c3 bewachen kann. 16. Ta2 Noch ein recht geistreicher Verteidigungsversuch. Txc5 17. Da1 Das war die Idee von Ta2 gewesen. Scheinbar ist alles gedeckt. Schwarz darf die Damen nicht tauschen, da verlöre er sogar Material. Wie kann er den Angriff fortsetzen? Dc6!! Am stärksten, und zugleich auch am spektakulärsten, weil der Turm h8 jetzt mit Schach einsteht. Die Drohung Tc1+ nebst Matt ist natürlich ein starker Trumpf. 18. De5+ Bringt nichts, außer einem Zug Verzögerung. Kd8 19. Dxh8+ Die Henkersmahlzeit! Kd7 Jetzt hat Weiß kein Schach mehr, und sein König sieht sich hilflos den Mattdrohungen gegenüber. Auf 20. e3 folgt Tc1+ 21. Ke2 Lg4! (um das mögliche Fluchtfeld f3 zu verstopfen) nebst Dc4 matt, und auf 20. Td2 Tc1+ 21. Td1 käme Dc2 (das Feld c3 kontrolliert ja immerhin noch die weiße Dame) 22. Dd4 Txd1+ 23. Txd1 Dc3+. Die Partie kann als Lehrbeispiel für den unentwickeltsten weißen Königsflügel aller Zeiten in die Schachgeschichte eingehen. Es wird berichtet, dass der holländische GM Loek van Wely diese Partie besonders lustig fand, was dann aber wiederum der Verlierer, GM Sokolov, derart unlustig fand, dass er drauf und dran gewesen sein soll, van Wely zu schlagen. Das hätte er aber dann wohl besser am Schachbrett machen sollen. Übrigens stimme ich van Wely darin durchaus zu, diese Partie lustig zu finden. Nachvollziehbar ist natürlich aber auch, dass der Verlierer hier nicht mitlachen kann.
cutter - 14. Jan '14
Wieder eine klasse Partie. Ich lese mit großem Spaß.
Und wieder ein kleiner Tippfehler ,-)
Variantenbeschreibung: 23. Dd1: statt Td1: oder?
Vergnügte Grüße cutter
Und wieder ein kleiner Tippfehler ,-)
Variantenbeschreibung: 23. Dd1: statt Td1: oder?
Vergnügte Grüße cutter
Vabanque - 14. Jan '14
Ähm ja, natürlich :) Der Turm ist ja schon geschlagen, kann also gar nicht wiedernehmen. Vielmehr tut dies die dann auf d4 stehende Dame. Das kommt davon, wenn man die Varianten vom eigenen Kopf abschreibt statt von einem Variantenbrett. Naja, Hauptsache die Partien machen Spaß :))
Vabanque - 14. Jan '14
Noch ein kleiner Tippfehler: In der der ersten Variante am Schluss ist Lg4 natürlich mit Schach, also Lg4+. Weiß muss dann das Feld f3 verstellen und es kommt Dc4#.
O.Allgeyr - 14. Jan '14
Tut der Sache aber keinen Abbruch... :-)
Liest sich gut.
Danke und weiter so!
Gruß Oliver
Liest sich gut.
Danke und weiter so!
Gruß Oliver
Vabanque - 14. Jan '14
Oh danke! Wieder taucht ein neuer 'Fan' auf, von dem ich bisher noch nichts wusste! :)
Aber seid bitte nicht Fans von mir, sondern von den GMs, die diese Partien gespielt haben! Ich versuche nur meine Begeisterung für diese Partien zu vermitteln, indem ich sie (hoffentlich) allgemein verständlich aufbereite :)
Glücklicherweise habe ich selber keine dieser Partien gespielt :))
Aber seid bitte nicht Fans von mir, sondern von den GMs, die diese Partien gespielt haben! Ich versuche nur meine Begeisterung für diese Partien zu vermitteln, indem ich sie (hoffentlich) allgemein verständlich aufbereite :)
Glücklicherweise habe ich selber keine dieser Partien gespielt :))
Kellerdrache - 15. Jan '14
Diese Partie erinnert mich irgendwie an einen Boxkampf gegen einen überlegenen Gegner. Egal in welche Ecke man läuft, überall gibt es was auf die Fresse.
Nach solchen Partien hat ein alter Mannschaftkollege von mir mal gesagt : "Jetzt geh ich nach Hause, verprügele die Kinder und trete die Katze durchs Wohnzimmer." Hat er natürlich nicht gemacht, beschreibt aber die Gemütslage ganz gut. Van Wely hat also noch Glück gehabt ;-))
Nach solchen Partien hat ein alter Mannschaftkollege von mir mal gesagt : "Jetzt geh ich nach Hause, verprügele die Kinder und trete die Katze durchs Wohnzimmer." Hat er natürlich nicht gemacht, beschreibt aber die Gemütslage ganz gut. Van Wely hat also noch Glück gehabt ;-))
Vabanque - 15. Jan '14
Man fühlt sich nach so einer Partie gedemütigt und vorgeführt, obwohl das natürlich nicht der Fall ist. Man hat einfach bloß schlechte Züge gemacht, und der Gegner hat sie ausgenützt. Dass solche Partie auch auf sehr hoher Ebene vorkommen, wollte ich mit diesem Beitrag zeigen. Interessant, dass diese Partie anscheinend so gut ankommt, jedenfalls viel besser als die vorige. Aber die war wohl zu subtil, diese hier ist wirklich von der ganz brutalen Art, und das gefällt offenbar :))
Ronny68 - 15. Jan '14
Sehr schöne und agressive Partie von Schwarz.
Toll kommentiert....macht Spass sowas zu lesen
Weiter sooooo!!!
Toll kommentiert....macht Spass sowas zu lesen
Weiter sooooo!!!
Vabanque - 15. Jan '14
Ja, das mag man gerne sehen, mit Schwarz so schnell so aggressiv zu spielen und damit auch noch zu gewinnen. Nur ich selber schaffe das nie so ... irgendwas mache ich falsch ;)