Kommentierte Spiele

Aronia Special 2: Aronian - Navara 2006

Vabanque - 15. Jan '14
Hier ist noch eine Partie von Aronian, in der er den
spektakulärsten Zug der gesamten 37. Schacholympiade
(Turin 2006) aufs Brett brachte, und zwar gegen den
tschechischen Spitzenspieler David Navara:

Levon Aronian David Navara 37th Chess Olympiad | Turin ITA | 11 | 2006.06.02 | E17 | 1:0
8
7
6
5
4
3
2
a
1
b
c
d
e
f
g
h
1. d4 Sf6 2. c4 e6 3. Sf3 b6 4. g3 Lb7 5. Lg2 Le7 6. Sc3 Bisher ein ganz normales Damenindisch. Se4 Mit diesem unternehmenden Zug verlässt Schwarz die ruhigen positionellen Pfade. 7. Ld2 Für den schwarzfeldrigen Läufer von Weiß ist es in dieser Stellung schwer, einen guten Platz zu finden. Daher wäre Weiß gerne bereit, ihn gegen den aktiven schwarzen Springer abtauschen zu lassen. Aber wenn Schwarz irgendwann auf c3 tauschen würde, nähme der Läufer auf c3 wieder und stünde wieder ganz gut. f5 Natürlich lässt Schwarz den Ld2 erstmal auf seinen auch nicht wirklich guten Platz stehen. Es ist jetzt eine Art Holländisch entstanden. 8. Dc2 Lf6 9. Se5! Schon nutzt Weiß das Gegenüber der beiden Läufer auf der langen Diagonalen aus. Der schwarze Se4 kann nicht wegziehen wegen des ungedeckten Lb7; ein typisches Motiv im Dameninder. Außerdem droht jetzt Weiß durch Schlagen auf e4 einfach einen Bauern zu gewinnen, und das ginge auch, wenn Schwarz jetzt Lxe5 oder d6 zöge. Die Varianten sind vielfältig, aber man muss in Erwägung ziehen, dass nach dem evtl. Schlagen des weißen Läufers auf b7 oder nach einem Generalabtausch auf e4 ja auch der Ta8 hinge. d5 Schwarz deckt e4 zuverlässig und hofft gleichzeitig die Diagonale zu verstopfen. Aber vermutlich hätte er sich von dem unangenehmen Gegenüber der Läufer am besten mit Se4-d6 befreien sollen. Der Textzug gefällt mir nicht; er schafft ein 'Loch' auf e5, d.h. dieses Feld kann nicht mehr von einem schwarzen Bauern kontrolliert werden. 10. xd5 Sxc3 Mit diesem Zwischentausch hofft Schwarz eine bessere Stellung zu bekommen als nach dem einfachen Wiedernehmen exd5 (was seinen Lb7 zunächst mal begrenzen würde), weil er hinterher mit dem Läufer auf d5 wiederzunehmen plant. Trotzdem ist es ein wenig verwunderlich, dass Navara diese Variante wieder spielte, wo er doch im Vorjahr damit gegen einen anderen armenischen GM schon einmal schlecht zu stehen kam, und sich nur durch seine hervorragende Endspieltechnik noch in ein Remis retten konnte. Vermutlich hatte sich Navara nach 11. Lxc3 Lxd5 irgendwo eine Verbesserung ausgedacht. Aber Aronian spielte überhaupt nicht 11. Lxc3, sondern den Schocker: 11. Sf7!! Opfer eines Springers auf f7 sind in der Schachliteratur ja bei weitem genügend bekannt. Aber wann jemals wurde der Springer auf dem LEEREN Feld f7 (also ohne Schlagen eines Bauern) geopfert? Mit so etwas rechnet wirklich niemand. Objektiv ist es übrigens gar nicht sicher, dass der Zug wirklich besser ist als das einfache Lxc3. Positionsspieler wie Kramnik oder Ponomariov (oder in der Vergangenheit Capablanca oder Smyslov) würden wahrscheinlich gar keinen Gedanken an einen Zug wie Sf7 verschwenden. Sie würden à tempo Lxc3 ziehen, sich mit einem kleinen, aber fühlbaren Positionsvorteil begnügen, und ihren Gefallen daran finden, diesen Vorteil nach und nach auszubauen. Nicht so Aronian. Er sucht überall nach Finessen und Überraschungen. Routine ist ihm zu langweilig, unübliche Züge sind seine Visitenkarte. Dd7? Klar ist, dass Schwarz nicht Kxf7 nehmen kann wegen 12. dxe6+ Kxe6 13. Lxb7 (also wieder der ungedeckte Läufer b7!), aber richtig wäre es gewesen, Dc8! zu ziehen, um eben diesen vermaledeiten Lb7 zu decken. Dann nämlich würde Schwarz drohen, den weißen Springer mit Kxf7 zu schlagen; er wäre ja durch den Abzug dxe6+ nicht mehr indirekt gedeckt. Weiß müsste dann 12. Sxh8 spielen, und nach Lxd5 (auch Sxd5 kommt in Frage) 13. Lxd5 (der Lg2 hing) Sxd5 14. e4 (sonst kann Weiß auf gar keinen Vorteil hoffen) fxe4 15. Dxe4 g6 ist die Lage gar nicht so klar. Schwarz erobert dann den Sh8 für die beiden Bauern g6 und h7 und steht dann materiell nicht unbedingt schlechter da, wobei die Stellung insgesamt sehr kompliziert und schwer einzuschätzen ist. 12. Lxc3! Hier, mit der schwarzen Dame auf d7 statt auf c8, ist 12 Sxh8 nicht angebracht, da dann Schwarz nach Lxd5 13. Lxd5 mit der Dame auf d5 zurückschlagen könnte, womit er durch den Angriff auf den weißen Th1 die Initiative behielte. Diese Möglichkeit ist sicher der Grund, warum Navara Dd7 wählte. Der Nachteil von Dd7 zeigt sich allerdings nach dem weißen Textzug: Weiß kann den Opferspringer seelenruhig noch weiter auf f7 stehen lassen, denn Schwarz kann weder mit seinem König noch mit seiner Dame auf f7 zugreifen, weil wegen dem immer noch ungedeckten Lb7 wieder der Abzug dxe6 möglich ist! Lxd5 Aber bewährt sich die Damenstellung auf d7 denn nicht trotzdem? Wieder hängt der weiße Läufer auf g2, und nach dem Tausch auf d5 nimmt die schwarze Dame wieder und bedroht den weißen Turm h1. So weit hatte es Schwarz in der Vorausberechnung nämlich gesehen, und angenommen (wie es viele Spieler getan hätten), dass Schwarz jetzt in Vorteil kommen muss. 13. Lxd5 Dxd5 14. e4! Aber diesen Zug, der die eigentliche Pointe von Sf7 bildet, hatte Schwarz übersehen! Weiß verstopft unter Bauernopfer die Diagonale, nimmt hinterher auf h8 weg und steht dann zunächst mit einem Mehrturm da, also auf lange Sicht mit einer Mehrqualität, weil der weiße Eckspringer h8 letztlich verloren gehen wird. xe4 Dxe4 ändert natürlich nichts. 15. Sxh8 Sc6 Schwarz hat keine Zeit, auf d4 wegzunehmen, sondern muss schleunigst seine Entwicklung nachholen. 16. O-O Ke7 Immer noch geht das Wegnehmen auf d4 nicht, weil Weiß letztlich mit großer Wirkung mit seiner Dame auf c7 schlagen würde. 17. Tae1 Txh8 18. Txe4 Der Bauer e4 war nicht zu halten gewesen. Weiß hat jetzt die glatte Mehrqualität und Druck auf der e-Linie gegen den schwachen Bauern e6. Da sich zum Unglück von Schwarz sein König auch noch in der ziemlich offenen Mitte befindet, summieren sich diese Vorteile zu einer klaren Gewinnstellung von Weiß. Trotzdem ist es erstaunlich, wie schnell die Partie aus ist. Aronian ist eben nicht nur ein schlagfertiger Taktiker, sondern verfügt auch über eine exzellente Technik, von der wir Durchschnittsspieler nur träumen können. Td8 19. Tfe1 Td6 Keine angenehme Aufgabe für so einen starken Turm, zur Bewachung eines popligen Bauern abgestellt zu werden. Aber Schwarz kann sich den Fall des Bauern e6 nicht leisten; seine ganze Stellung hängt daran. 20. Tf4 Jetzt wo Weiß die Mitte kontrolliert, schwenkt er zum Flügel. Es droht Dxh7. g6 21. h4 Weiß ist unerbittlich. Gegen die Aufrollung h4-h5 gibt es keine wirkliche Verteidigung. Schwarz kann in diesem Fall auch nicht mit der Dame auf h5 schlagen, weil dann d4- d5! mit Drohungen gegen c6, e6 und f6 sofort entscheidet. Jetzt erkennt man einen weiteren Vorteil des Zuges Tf4. Td7 Schwarz möchte wenigstens auf d4 schlagen können, ohne dass die weiße Dame nach Abtausch auf d4 jeweils auf c7 eindringen könnte. 22. h5! Jetzt fällt die schwarze Stellung wie ein Kartenhaus zusammen. Am amüsantesten wäre nun Dxh5 23. d5! Lxc3 (da unter anderem f6 hing) 24. Txe6+ Kd8 (einziger Zug) 25. Tf8 matt. Lxd4 Das Schlagen mit dem Springer würde genauso verlieren, bloß nicht so schnell. 23. xg6 xg6 24. Dxg6 Der schwarze König steht derart exponiert, dass seine Hinrichtung nicht mal mehr eine Frage der Zeit ist. Seine eigenen Getreuen stehen wie zu einem Knäuel verpackt da und können ihm nicht helfen, da sie unfähig sind zusammenzuarbeiten. Im heutigen Berufsleben, wo Teamwork groß geschrieben ist, ein sofortiger Entlassungsgrund. Aber der schwarze Chef kommt nicht mal mehr dazu, seine Mitarbeiter zu entlassen, da ihm der eigene Untergang zuvorkommt. Se5 Schwarz versucht verzweifelt das Feld f7 zu decken, aber damit gewährt er dem Sensenmann (in Gestalt einer weißen Lady) Zugang zu f6. 25. Df6+ Schwarz hat jetzt noch die Wahl zwischen Kf8 Df8 matt und Kd6 Txd4 mit Verlust von Haus und Hof, daher gab er auf. David Navara, später nach der interessantesten Partie der Schacholympiade befragt, empfahl - unter den Voraussetzungen, dass man wenig Zeit habe und eine kurze, lustige Partie sehen wolle - diese seine eigene Verlustpartie! Ein wahrhaft sportliches Verhalten des Tschechen, das sich angenehm von der Reaktion des Verlierers in der Partie Sokolov - Aronian abhebt.
PGN anzeigen

[Event "37th Chess Olympiad"]
[Site "Turin ITA"]
[Date

"2006.06.02"]
[EventDate "2006.05.21"]
[Round "11"]
[Result "1-0"]
[White "Levon Aronian"]
[Black "David

Navara"]
[ECO "E17"]
[WhiteElo "2756"]
[BlackElo "2658"]
[PlyCount "49"]

1. d4 Nf6 2. c4 e6 3. Nf3 b6 4. g3 Bb7

5. Bg2 Be7 6. Nc3 {Bisher ein ganz normales

Damenindisch.} Ne4 {Mit diesem unternehmenden Zug

verlässt Schwarz die ruhigen positionellen Pfade.} 7.

Bd2 {Für den schwarzfeldrigen Läufer von Weiß ist es in

dieser Stellung schwer, einen guten Platz zu finden.

Daher wäre Weiß gerne bereit, ihn gegen den aktiven

schwarzen Springer abtauschen zu lassen. Aber wenn

Schwarz irgendwann auf c3 tauschen würde, nähme der

Läufer auf c3 wieder und stünde wieder ganz gut.} f5

{Natürlich lässt Schwarz den Ld2 erstmal auf seinen

auch nicht wirklich guten Platz stehen. Es ist jetzt

eine Art Holländisch entstanden.} 8. Qc2
Bf6 9. Ne5! {Schon nutzt Weiß das Gegenüber der beiden

Läufer auf der langen Diagonalen aus. Der schwarze Se4

kann nicht wegziehen wegen des ungedeckten Lb7; ein

typisches Motiv im Dameninder. Außerdem droht jetzt

Weiß durch Schlagen auf e4 einfach einen Bauern zu

gewinnen, und das ginge auch, wenn Schwarz jetzt Lxe5

oder d6 zöge. Die Varianten sind vielfältig, aber man

muss in Erwägung ziehen, dass nach dem evtl. Schlagen

des weißen Läufers auf b7 oder nach einem

Generalabtausch auf e4 ja auch der Ta8 hinge.} d5

{Schwarz deckt e4 zuverlässig und hofft gleichzeitig

die Diagonale zu verstopfen. Aber vermutlich hätte er

sich von dem unangenehmen Gegenüber der Läufer am

besten mit Se4-d6 befreien sollen. Der Textzug gefällt

mir nicht; er schafft ein 'Loch' auf e5, d.h. dieses

Feld kann nicht mehr von einem schwarzen Bauern

kontrolliert werden.} 10. cxd5 Nxc3 {Mit diesem

Zwischentausch hofft Schwarz eine bessere Stellung zu

bekommen als nach dem einfachen Wiedernehmen exd5 (was

seinen Lb7 zunächst mal begrenzen würde), weil er

hinterher mit dem Läufer auf d5 wiederzunehmen plant.

Trotzdem ist es ein wenig verwunderlich, dass Navara

diese Variante wieder spielte, wo er doch im Vorjahr

damit gegen einen anderen armenischen GM schon einmal

schlecht zu stehen kam, und sich nur durch seine

hervorragende Endspieltechnik noch in ein Remis retten

konnte. Vermutlich hatte sich Navara nach 11. Lxc3 Lxd5

irgendwo eine Verbesserung ausgedacht. Aber Aronian

spielte überhaupt nicht 11. Lxc3, sondern den

Schocker:} 11. Nf7!! {Opfer eines Springers auf f7 sind

in der Schachliteratur ja bei weitem genügend bekannt.

Aber wann jemals wurde der Springer auf dem LEEREN Feld

f7 (also ohne Schlagen eines Bauern) geopfert? Mit so

etwas rechnet wirklich niemand. Objektiv ist es

übrigens gar nicht sicher, dass der Zug wirklich besser

ist als das einfache Lxc3. Positionsspieler wie Kramnik

oder Ponomariov (oder in der Vergangenheit Capablanca

oder Smyslov) würden wahrscheinlich gar keinen Gedanken

an einen Zug wie Sf7 verschwenden. Sie würden à tempo

Lxc3 ziehen, sich mit einem kleinen, aber fühlbaren

Positionsvorteil begnügen, und ihren Gefallen daran

finden, diesen Vorteil nach und nach auszubauen. Nicht

so Aronian. Er sucht überall nach Finessen und

Überraschungen. Routine ist ihm zu langweilig,

unübliche Züge sind seine Visitenkarte.} 11... Qd7?

{Klar ist, dass Schwarz nicht Kxf7 nehmen kann wegen

12. dxe6+ Kxe6 13. Lxb7 (also wieder der ungedeckte

Läufer b7!), aber richtig wäre es gewesen, Dc8! zu

ziehen, um eben diesen vermaledeiten Lb7 zu decken.

Dann nämlich würde Schwarz drohen, den weißen Springer

mit Kxf7 zu schlagen; er wäre ja durch den Abzug dxe6+

nicht mehr indirekt gedeckt. Weiß müsste dann 12. Sxh8

spielen, und nach Lxd5 (auch Sxd5 kommt in Frage) 13.

Lxd5 (der Lg2 hing) Sxd5 14. e4 (sonst kann Weiß auf

gar keinen Vorteil hoffen) fxe4 15. Dxe4 g6 ist die

Lage gar nicht so klar. Schwarz erobert dann den Sh8

für die beiden Bauern g6 und h7 und steht dann

materiell nicht unbedingt schlechter da, wobei die

Stellung insgesamt sehr kompliziert und schwer

einzuschätzen ist. } 12. Bxc3! {Hier, mit der schwarzen

Dame auf d7 statt auf c8, ist 12 Sxh8 nicht angebracht,

da dann Schwarz nach Lxd5 13. Lxd5 mit der Dame auf d5

zurückschlagen könnte, womit er durch den Angriff auf

den weißen Th1 die Initiative behielte. Diese

Möglichkeit ist sicher der Grund, warum Navara Dd7

wählte. Der Nachteil von Dd7 zeigt sich allerdings nach

dem weißen Textzug: Weiß kann den Opferspringer

seelenruhig noch weiter auf f7 stehen lassen, denn

Schwarz kann weder mit seinem König noch mit seiner

Dame auf f7 zugreifen, weil wegen dem immer noch

ungedeckten Lb7 wieder der Abzug dxe6 möglich ist!}

12... Bxd5 {Aber bewährt sich die Damenstellung auf d7

denn nicht trotzdem? Wieder hängt der weiße Läufer auf

g2, und nach dem Tausch auf d5 nimmt die schwarze Dame

wieder und bedroht den weißen Turm h1. So weit hatte es

Schwarz in der Vorausberechnung nämlich gesehen, und

angenommen (wie es viele Spieler getan hätten), dass

Schwarz jetzt in Vorteil kommen muss.} 13. Bxd5 Qxd5

14. e4! {Aber diesen Zug, der die eigentliche Pointe

von Sf7 bildet, hatte Schwarz übersehen! Weiß verstopft

unter Bauernopfer die Diagonale, nimmt hinterher auf h8

weg und steht dann zunächst mit einem Mehrturm da, also

auf lange Sicht mit einer Mehrqualität, weil der weiße

Eckspringer h8 letztlich verloren gehen wird.} fxe4

{Dxe4 ändert natürlich nichts.} 15. Nxh8 Nc6 {Schwarz

hat keine Zeit, auf d4 wegzunehmen, sondern muss

schleunigst seine Entwicklung nachholen.} 16. O-O Ke7

{Immer noch geht das Wegnehmen auf d4 nicht, weil Weiß

letztlich mit großer Wirkung mit seiner Dame auf c7

schlagen würde.} 17. Rae1 Rxh8 18. Rxe4 {Der Bauer e4

war nicht zu halten gewesen. Weiß hat jetzt die glatte

Mehrqualität und Druck auf der e-Linie gegen den

schwachen Bauern e6. Da sich zum Unglück von Schwarz

sein König auch noch in der ziemlich offenen Mitte

befindet, summieren sich diese Vorteile zu einer klaren

Gewinnstellung von Weiß. Trotzdem ist es erstaunlich,

wie schnell die Partie aus ist. Aronian ist eben nicht

nur ein schlagfertiger Taktiker, sondern verfügt auch

über eine exzellente Technik, von der wir

Durchschnittsspieler nur träumen können.} Rd8 19. Rfe1

Rd6 {Keine angenehme Aufgabe für so einen starken Turm,

zur Bewachung eines popligen Bauern abgestellt zu

werden. Aber Schwarz kann sich den Fall des Bauern e6

nicht leisten; seine ganze Stellung hängt daran.} 20.

Rf4 {Jetzt wo Weiß die Mitte kontrolliert, schwenkt er

zum Flügel. Es droht Dxh7.} g6 21. h4 {Weiß ist

unerbittlich. Gegen die Aufrollung h4-h5 gibt es keine

wirkliche Verteidigung. Schwarz kann in diesem Fall

auch nicht mit der Dame auf h5 schlagen, weil dann d4-

d5! mit Drohungen gegen c6, e6 und f6 sofort

entscheidet. Jetzt erkennt man einen weiteren Vorteil

des Zuges Tf4.} Rd7 {Schwarz möchte wenigstens auf d4

schlagen können, ohne dass die weiße Dame nach Abtausch

auf d4 jeweils auf c7 eindringen könnte.}
22. h5! {Jetzt fällt die schwarze Stellung wie ein

Kartenhaus zusammen. Am amüsantesten wäre nun Dxh5 23.

d5! Lxc3 (da unter anderem f6 hing) 24. Txe6+ Kd8

(einziger Zug) 25. Tf8 matt.} Bxd4 {Das Schlagen mit

dem Springer würde genauso verlieren, bloß nicht so

schnell.} 23. hxg6 hxg6 24.
Qxg6 {Der schwarze König steht derart exponiert, dass

seine Hinrichtung nicht mal mehr eine Frage der Zeit

ist. Seine eigenen Getreuen stehen wie zu einem Knäuel

verpackt da und können ihm nicht helfen, da sie unfähig

sind zusammenzuarbeiten. Im heutigen Berufsleben, wo

Teamwork groß geschrieben ist, ein sofortiger

Entlassungsgrund. Aber der schwarze Chef kommt nicht

mal mehr dazu, seine Mitarbeiter zu entlassen, da ihm

der eigene Untergang zuvorkommt.} Ne5 {Schwarz versucht

verzweifelt das Feld f7 zu decken, aber damit gewährt

er dem Sensenmann (in Gestalt einer weißen Lady) Zugang

zu f6.} 25. Qf6+ {Schwarz hat jetzt noch die Wahl

zwischen Kf8 Df8 matt und Kd6 Txd4 mit Verlust von Haus

und Hof, daher gab er auf. David Navara, später nach

der interessantesten Partie der Schacholympiade

befragt, empfahl - unter den Voraussetzungen, dass man

wenig Zeit habe und eine kurze, lustige Partie sehen

wolle - diese seine eigene Verlustpartie! Ein wahrhaft

sportliches Verhalten des Tschechen, das sich angenehm

von der Reaktion des Verlierers in der Partie Sokolov -

Aronian abhebt.} 1-0

Vabanque - 15. Jan '14
Oh Mist, schon wieder ein Tippfehler sogar in der Überschrift, das gibt's doch nicht :(
cutter - 15. Jan '14
Macht doch gar nichts.
Da man auf einem Bein nicht stehen kann, steuere ich 25. Ke8 statt Kf8 bei ;-)

Eine tolle Partie und danke für deine unterhaltsame Reihe.
cutter
Vabanque - 15. Jan '14
Das ist wieder so ein Fall, wo ich mich erstmal vergewissern musste, ob ich da wirklich Kf8 getippt haben kann ... aber ich habe es, merkwürdig. Natürlich muss es heißen 25. ... Ke8 26. Df8 matt. Die Finger folgen (manchmal) den Gedanken nicht.
Kellerdrache - 16. Jan '14
Man weiß gar nicht was man mehr bewundern soll. Wie er aus einer scheinbar schlechteren Stellung einen Angriff zaubert oder die furchtlose Konsequenz mit der er das durchzieht. Ganz großes Kino !!
Vabanque - 16. Jan '14
Aronian soll über sich selber gesagt haben, er sei nur ein billiger taktischer Trickser. Und seine Neider werfen ihm 'Kaffeehausschach' vor. (Übrigens wurde der gleiche Vorwurf vor 100 Jahren schon gegen Lasker getätigt.) Es ist behauptet worden, dass jeder Kaffeehausspieler selbst im Blitzschach den Zug 11 Sf7 ohne nachzudenken gespielt hätte. Selbst wenn das stimmen sollte (was ich bezweifle), dann bestünde der entscheidende Unterschied in der Tatsache, dass der Kaffeehausspieler nur spekuliert, während Aronian weiß, was er tut, und das (zweifellos immer noch vorhandene) Risiko eines solchen Zuges einschätzen kann.
Ich habe eine Reihe seiner Partien nachgespielt und auch festgestellt, dass sich genau das, was du sagst, durch viele seiner Partien zieht: Aus scheinbar (!) schlechteren Stellungen zaubert er wie aus dem Nichts plötzlich einen Angriff. Im Klartext heißt das aber: Er erkennt die Chancen in Stellungen, die dem Durchschnittspieler wenig chancenreich erscheinen.
Mit Kaffeehausschach kommt man sicher nicht auf Platz 2 der Weltrangliste. Wohl aber mit unorthodoxem, aber kreativem Schach, das genau die richtige, gerade noch kalkulierbare Portion Risiko enthält.