Kommentierte Spiele
Angriffspartien der Positionsspieler (I): Capablanca
Vabanque - 23. Apr '18
Die Anregung zu einer Reihe mit Angriffspartien der Positionsspieler kam eigentlich schon vor Jahren von meinem Kollegen Kellerdrache.
Wir stellten damals fest, wie viele interessante Angriffspartien es doch von Leuten wie Capablanca, Rubinstein, Botwinnik, Smyslov, Petrosjan, Karpov, Kramnik (um nur einige der bekanntesten Positionsspieler zu nennen) gibt.
Natürlich hätten einige der bisher gebrachten Partien auch schon gut in diese Reihe gepasst; aber auch so gibt es noch bei weitem genügend Material.
Den Anfang mache ich mit einem Angriffssieg von Capablanca, einer Partie, die zugleich unterhaltsam und leicht verständlich ist.
Capa spielt hier (eigentlich ungewöhnlich für ihn) eine scharfe Eröffnungsvariante, die genaue Behandlung von beiden Seiten erfordert. Sein Gegner Löwenfisch ist aber in der (damaligen) Theorie dieses Abspiels (Meraner Verteidigung) nicht ganz sattelfest und produziert im 13. Zug ein recht seltsames Turmmanöver, das allein jedoch noch nicht zum Verlust geführt hätte. Allerdings besteht auch im Meisterschach die 'Regel', dass eine einmal schwierig gewordene Stellung meist bald quasi wie von selbst einen weiteren - und dann entscheidenden - Fehlzug hervorbringt. Und so ist es hier mit dem 17. Zug von Schwarz. Es ist verblüffend, mit welcher Einfachheit und Knappheit Capa danach die schwarze Rochadestellung zerstört.































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Wir stellten damals fest, wie viele interessante Angriffspartien es doch von Leuten wie Capablanca, Rubinstein, Botwinnik, Smyslov, Petrosjan, Karpov, Kramnik (um nur einige der bekanntesten Positionsspieler zu nennen) gibt.
Natürlich hätten einige der bisher gebrachten Partien auch schon gut in diese Reihe gepasst; aber auch so gibt es noch bei weitem genügend Material.
Den Anfang mache ich mit einem Angriffssieg von Capablanca, einer Partie, die zugleich unterhaltsam und leicht verständlich ist.
Capa spielt hier (eigentlich ungewöhnlich für ihn) eine scharfe Eröffnungsvariante, die genaue Behandlung von beiden Seiten erfordert. Sein Gegner Löwenfisch ist aber in der (damaligen) Theorie dieses Abspiels (Meraner Verteidigung) nicht ganz sattelfest und produziert im 13. Zug ein recht seltsames Turmmanöver, das allein jedoch noch nicht zum Verlust geführt hätte. Allerdings besteht auch im Meisterschach die 'Regel', dass eine einmal schwierig gewordene Stellung meist bald quasi wie von selbst einen weiteren - und dann entscheidenden - Fehlzug hervorbringt. Und so ist es hier mit dem 17. Zug von Schwarz. Es ist verblüffend, mit welcher Einfachheit und Knappheit Capa danach die schwarze Rochadestellung zerstört.
Jose Raul Capablanca Grigory Levenfish Moscow | Moscow URS | 19 | 1935.03.14 | D49 | 1:0
8








7








6
5
4
3
2








a
1

b

c

d

e

f

g

h

1. d4 d5 2. c4 e6 3. Sc3 c6 Die 'Halbslawische' Verteidigung, die dadurch charakterisiert ist, dass Schwarz sich sowohl mit c6 wie auch mit e6 aufbaut. Dies sieht auf dem ersten Blick wie eine sehr passive Spielweise auf, aber das genaue Gegenteil ist der Fall: Schwarz plant eine rasche Gegenoffensive am Damenflügel. 4. Sf3 Sf6 5. e3 Sbd7 6. Ld3 Heute wird an dieser Stelle gerne Dc2 gespielt, um den folgenden scharfen Verwicklungen aus dem Weg zu gehen. xc4 Damit wird die so genannte 'Meraner' Verteidigung eingeleitet, die auch heute noch beliebt ist, wenn auch mit einer teilweise anderen Fortsetzung. Die Idee von Schwarz besteht jedenfalls darin, am Damenflügel die Initiative an sich zu reißen. 7. Lxc4 b5 8. Ld3 a6 Um c5 vorzubereiten. Es wurden an dieser Stelle aber auch die Züge b4, Lb7 und (in neuerer Zeit) Ld6 gespielt. 9. e4 Dieser und die folgenden Züge zeigen, dass Capablanca sehr wohl mit den damals neuesten Entwicklungen der Eröffnungstheorie vertraut war. Somit erweist sich die oft geäußerte Behauptung, Capa hätte sich nie mit Eröffnungen befasst, als eine Legende. Tatsache ist vielmehr, dass Capablanca - ähnlich wie der heutige Weltmeister Carlsen - nie bereits in der Eröffnung konsequent einen Vorteil angestrebt hat. Er verließ sich - genau wie Magnus - auf seine Überlegenheit in Mittel- und Endspiel. Auch in dieser Partie arbeitet er - trotz Kenntnis der damals aktuellsten Spielweise - nicht wirklich einen Eröffnungsvorteil heraus, wie wir gleich sehen werden. Er ist jedoch in der Lage - wieder genau wie Carlsen - , einen Fehlgriff seines Kontrahenten in komplizierter Stellung sofort als solchen zu erkennen und konsequent auszunutzen. c5 10. e5 Der so genannte 'Blumenfeld-Angriff', der durch äußerst lebhaftes taktisches Spiel gekennzeichnet ist, im Gegensatz zu dem mehr positionell motivierten 'Reynold-Angriff', der mit 10. d5 beginnt und erst ca. 2 Jahrzehnte nach dieser Partie aufkam. xd4 Ein Zwischenzug, so dass der angegriffene Sf6 nicht reagieren muss ... 11. Sxb5 ... wird mit einem 'Desperado-Zug' beantwortet ... Sxe5 ... auf den wiederum ein 'Zwischenopfer' folgt. All das ist sehr amüsant nachzuspielen, aber kaum am Brett zu finden. Auch damals mussten Theorievarianten schon gelernt werden! (Übrigens ist auch 11... axb5 spielbar und vielleicht sogar besser als der Textzug, dies soll aber hier nicht erörtert werden. Wer sich mit der Theorie der Meraner Verteidigung befassen möchte, sei auf Spezialliteratur verwiesen - oder - dem Zeitgeist entsprechend - auf Datenbanken, die aber im Gegensatz zu Büchern die Züge natürlich nicht erläutern. Am besten sind in dieser Hinsicht dann wohl doch Lern-DVDs, ein ebenfalls schon in die Jahre gekommenes Format.) 12. Sxe5 xb5 13. Df3!? Der Zug des schwedischen GM Gideon Stahlberg, der ihn 2 Jahre vor dieser Partie zum ersten Mal gegen Spielmann angewandt hatte. Davor hatte man entweder Ta5?! Löwenfisch, der Stahlbergs Zug offenbar nicht kannte (es gab ja noch kein Internet, und so war der schwedische Zug wohl noch nicht bis nach Moskau gedrungen), dachte nun fast eine Stunde nach, bevor er diesen merkwürdig aussehenden Turmzug spielte. Freilich, der angegriffene Turm deckt den Bauern b5, aber welche Funktion übt er sonst noch auf a5 aus? Momentan geht die Gabel Sc6 noch nicht, aber wenn sich die weiße Dame bewegt haben wird, wird diese Drohung akut werden.
und Da5+ gefunden.
14. O-O b4 Nun zeigt sich Löwenfischs Plan: der Ta5 hat die freie 5. Reihe (und greift momentan sogar den Se5 an), und der schwarze b-Bauer legt den weißen Damenflügel fest. 15. Lf4 Le7 16. Tfc1 O-O 17. Dh3 Damit geht die weiße Dame gegen h7 in Stellung, und vor allem droht jetzt auch Sc6. Tc5? Der erste wirkliche Fehler von Schwarz; und sofort ein entscheidender! Löwenfisch dachte wahrscheinlich, dass Lb7! wegen 18. Sg4 mit den beiden Drohungen Sxf6+ nebst Dxh7# und Lc7 mit Qualitätsgewinn verlieren würde; aber er hätte ganz cool mit g6! (oder auch h6) 19. Lc7 Dd5 20. Lxa5 Dxa5 die Qualität für einen Bauern (und das Läuferpaar!) geben können, und hätte damit die weißen Angriffschancen auf Null reduziert.
18. Txc5 Lxc5 19. Lg5 Nun ist Schwarz tatsächlich völlig verloren. Die Drohung Lxf6 nebst Dxh7# zwingt ihn, seine Königsfestung entscheidend zu schwächen, und danach ist der Anprall der weißen Figuren zu viel für die schwarze Verteidigung. h6 20. Sg4! Offensichtlich kann Weiß seinen Lg5 im Stich lassen. Zudem droht er sowohl Lxf6 wie auch Sxf6+ und Sxh6+. Das ist zuviel. Le7 21. Lxf6 xf6 Schwarz hat nämlich jetzt noch diese (allerdings sehr dürftige) Möglichkeit. 22. Sxh6+ Kg7 23. Dg4+ Auf h6 darf sich Schwarz nicht bedienen. Kh8 24. Dh5 Kg7 25. Sxf7! Nach diesem netten Zug ist alles aus. Th8 Schwarz konnte ebenso gut aufgeben, denn jetzt kann Capa gewinnen wie er will. 26. Dg6+ Selbst Sxh8 hätte gereicht; aber so kann Weiß im nächsten Zug die Dame nehmen. Löwenfisch gab auf; hoffentlich dankbar für die Lektion, die Capa ihm hier erteilt hatte. Jedenfalls kam der Zug 13... Ta5 - zumindest so weit ich weiß - danach in der Turnierpraxis nie wieder vor.
Kellerdrache - 23. Apr '18
Eine ganz schön wüste Eröffnungsbehandlung von beiden Spielern. Löwenfisch hat irgendwo zwischen dem 13. und 17 Zug seinen Schachkompass verloren. Capablanca hat sehr schön ausgenutzt, dass die schwarzen Figuren kaum Einfluß auf Zentrum und Königsflügel hatten. Strategisch war die Partie vermutlich schon im 19. Zug gewonnen, aber von Capa auch taktisch mit glasklarem Blick für das Wesentliche zu Ende gebracht.
Deine Kommentare zeigen wie viele Fehler und Ungenauigkeiten selbst in einer Stellung mit einem klaren Plan noch begangen werden können
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Tschechov - 01. Jun '18
Ich mußte doch erstmal überlegen, warum Weiß rochiert, statt Sc6 zu spielen. Aber das hätte Schwarz mit Lb7 pariert und der beiderseitige Damenverlust hätte Weiß durch Doppelbauern mehr geschadet als Schwarz, richtig?
Vabanque - 01. Jun '18
Ja genau. Hier war meine Anmerkung wohl doch eher etwas kurz ausgefallen.
In der Variante zum 14. Zug von Weiß kann sich Weiß nach dem indirekten Damentausch sogar mit Sxe6 noch einen Bauern zurückholen, doch sieht das Endspiel dann mit der zentralen Bauernmehrheit von Schwarz doch eher zweifelhaft für Weiß aus, trotz des Läuferpaars.
Ich muss gestehen, so genau kann ich das auch nicht beurteilen (weswegen ich auch wenig dazu geschrieben habe), jedenfalls sieht es nicht nach Vorteil für Weiß aus, und andernfalls hätte Capablanca auch nicht gezögert, es zu spielen :)
Danke jedenfalls für dein Nachhaken, das ist mir sehr willkommen!
In der Variante zum 14. Zug von Weiß kann sich Weiß nach dem indirekten Damentausch sogar mit Sxe6 noch einen Bauern zurückholen, doch sieht das Endspiel dann mit der zentralen Bauernmehrheit von Schwarz doch eher zweifelhaft für Weiß aus, trotz des Läuferpaars.
Ich muss gestehen, so genau kann ich das auch nicht beurteilen (weswegen ich auch wenig dazu geschrieben habe), jedenfalls sieht es nicht nach Vorteil für Weiß aus, und andernfalls hätte Capablanca auch nicht gezögert, es zu spielen :)
Danke jedenfalls für dein Nachhaken, das ist mir sehr willkommen!