Kommentierte Spiele
Spektakuläre Schwarzsiege (VIII): Sokor - Volck 1937
Vabanque - 03. Jul '17
Diese Partie hätte auch gut in die Reihe 'Glanzpartien unbekannter Spieler gepasst' (denn über die Kontrahenten war rein gar nichts in Erfahrung zu bringen), aber im Grunde handelt es sich hier um einen Eröffnungsreinfall im Grünfeld-Inder, wo Weiß in einer ultrascharfen Variante frühzeitig einen vergifteten Bauern verspeist und ebenso konsequent wie hübsch dafür bestraft wird. Das verblüffende Opferspiel des Schwarzen dürfte auch für Nicht-Grünfeld-Spieler interessant sein, wie ich hoffe.































PGN anzeigen
Sokor Volck Leningrad | Leningrad | 1937 | D81 | 0:1
8








7








6
5
4
3
2








a
1

b

c

d

e

f

g

h

1. d4 Sf6 2. c4 g6 3. Sc3 d5 4. Db3 Die 'russische' Variante im Grünfeld-Inder; man sieht, dass bereits 1937 solche scharfen Eröffnungszüge probiert wurden, welche die strategischen Grundsätze ja eigentlich verletzen. Obwohl Weiß die Dame 'zu früh' ins Spiel bringt, wird der Zug bis heute gespielt und konnte nie widerlegt werden. xc4 5. Dxc4 Le6 Schwarz spielt tatsächlich 'auf Widerlegung' und hat in dieser Partie - dank eines Ausrutschers von Weiß - damit auch Erfolg. Vom heutigen Standpunkt kann man wohl sagen, dass der schwarze Textzug ein typischer Fallenzug ist, den man kennen sollte, wenn man sich als Weißer auf dieses Abspiel einlässt. Normal und solide wäre 5... Lg7. 6. Db5+ Sc6
Schwarz setzt im gleichen flotten Tempo fort. Nach Ld7 wäre nicht so recht klar, ob der Bauer b7 nun genommen werden kann oder nicht. Nach dem Textzug ist klar, dass man ihn nicht nehmen kann.
7. Sf3 Sd5! An dieser Stelle wurden auch Ld7 und das lahme Tb8 probiert, aber der Textzug ist am schärfsten und besten. Nun erliegt Weiß der Verlockung, den b-Bauern zu nehmen. 8. Dxb7? Gut ist hier nur 8. e4! Sb4 9. Da4 Ld7 10. Lb5
Sdb4 Urplötzlich droht nun Tb8 mit Damenfang. 9. Lf4 Lh6! Nach 10. Db3 e5 11. Lg5?! Sxd4 12. Sxd4 Dxg5 13. Sdb5?? O-O-O streckte Weiß in der Begegnung Zakharchenko-Nikolenko 2008 bereits die Waffen; tatsächlich kommt sein König nicht mehr aus der Mitte weg!
a6 11. Lxc6 Sxc6 mit unklarer Stellung; das weiße Bauernzentrum dürfte das schwarze Läuferpaar in etwa kompensieren Mit seinem vorigen Zug hatte Weiß auf Tb8 10. Dxc7 Dxc7 11. Lxc7 Tc8 12. Lf4 Sc2+ 13. Kd2 Sxa1 14. d5 Td8 15. e4 gehofft, mit ausgezeichneten Chancen (wegen der Möglichkeit Lb5!). Mit dem Textzug aber lenkt Schwarz den weißen Lf4 von der Bedrohung von ab, und damit fällt die weiße Rettungsidee wie ein Kartenhaus zusammen.
10. Lxc7? Sxd4! Ein wunderhübsches Damenopfer (auch wenn es letztlich nur ein Scheinopfer ist). Ein wenig schade ist zwar, dass das prosaische Dc8 auch gereicht hätte (mit Materialgewinn), aber der Textzug ist nicht bloß effektvoller, sondern auch viel stärker. Es droht wieder Sdc2#. 11. Lxd8 Sdc2+ Nun stehen die schwarzen Figuren so stark, dass Weiß das Matt nur noch unter heftigsten Materialeinbußen vermeiden kann (obwohl er doch momentan im Mehrbesitz einer Dame ist!) 12. Kd1 Txd8+ 13. Sd5 Lxd5 14. Dc7 Um wenigstens die Dame gegen den Turm zurückgeben zu können. Lxf3+ 15. Dxd8+ Kxd8 16. xf3 Kc7!
Kellerdrache - 03. Jul '17
Sehr hübsche Partie. Vor allem Lh6 hat mir gut gefallen. Nach diesem Zug merkt man auf einmal wie schlecht Weiß steht. Es mag wohl sein, dass Dxb7 ein Eröffnungspatzer ist, doch der entstehende Gegenangriff ist in seiner Schnelligkeit und Durchschlagskraft sehr lehrreich. Weiß startet einen Angriff bevor er halbwegs vernünftig entwickelt ist. Es gibt halt Grundsätze des Schachs die auch ein Meister (wenn die Herren denn solche waren) nicht ungestraft ignorieren.
5...Le6 ist einer dieser Züge die dem Schachästheten in mir echte Schmerzen bereiten, auch wenn es hier funktioniert.
5...Le6 ist einer dieser Züge die dem Schachästheten in mir echte Schmerzen bereiten, auch wenn es hier funktioniert.
Vabanque - 03. Jul '17
>>Es gibt halt Grundsätze des Schachs die auch ein Meister (wenn die Herren denn solche waren) nicht ungestraft ignorieren.<<
Da sich von keinem der beiden Spieler irgendeine andere Partie auffinden lässt, ist eher davon auszugehen, dass es sich nicht um Meisterspieler handelte, sondern um Amateure. Allerdings dürfte vor allem der Schwarzspieler schon recht stark gewesen sein, wenn nicht alles (damals schon!) von vornherein auf Eröffnungsvorbereitung beruhte.
Dass die Spieler nirgends sonst auftauchen, könnte natürlich auch die Vermutung nahelegen, dass die Partie überhaupt nicht gespielt wurde, sondern dass damals (1937) einfach ein sowjetischer Theoretiker seine Eröffnungsanalyse im Gewand einer vorgeblich gespielten Partie veröffentlicht hat, um seine Analyse für den Nachspielenden damit attraktiver zu machen.
Wir werden die historischen Fakten nicht mehr ergründen können, aber die Frage ist natürlich, ob es wirklich eine Rolle spielt, ob die Partie damals tatsächlich gespielt wurde, und wenn ja, ob die Kontrahenten irgendeinen Meistergrad besaßen.
>>5...Le6 ist einer dieser Züge die dem Schachästheten in mir echte Schmerzen bereiten, auch wenn es hier funktioniert.<<
Weil der e-Bauer verstellt wird? Dieser Umstand spielt hier eine äußerst geringe Rolle. Erstens wird der Lf8 sowieso über die Flanke entwickelt, und zweitens sind in diesem Moment Tempi wichtiger. Die weiße Dame soll nicht zur Ruhe kommen, während Schwarz sich fortwährend entwickelt.
5... Le6 lässt sich nicht widerlegen, und der Zug wird auch heute noch gespielt, wie die in der Anmerkung zum 8. Zug eingeflochtene moderne Partie beweist.
Auch wenn Engines die Variante als günstig für Weiß einschätzen, scheint das vorhandene Partiematerial zu belegen, dass die praktischen Chancen eher auf der Seite von Schwarz liegen.
Da sich von keinem der beiden Spieler irgendeine andere Partie auffinden lässt, ist eher davon auszugehen, dass es sich nicht um Meisterspieler handelte, sondern um Amateure. Allerdings dürfte vor allem der Schwarzspieler schon recht stark gewesen sein, wenn nicht alles (damals schon!) von vornherein auf Eröffnungsvorbereitung beruhte.
Dass die Spieler nirgends sonst auftauchen, könnte natürlich auch die Vermutung nahelegen, dass die Partie überhaupt nicht gespielt wurde, sondern dass damals (1937) einfach ein sowjetischer Theoretiker seine Eröffnungsanalyse im Gewand einer vorgeblich gespielten Partie veröffentlicht hat, um seine Analyse für den Nachspielenden damit attraktiver zu machen.
Wir werden die historischen Fakten nicht mehr ergründen können, aber die Frage ist natürlich, ob es wirklich eine Rolle spielt, ob die Partie damals tatsächlich gespielt wurde, und wenn ja, ob die Kontrahenten irgendeinen Meistergrad besaßen.
>>5...Le6 ist einer dieser Züge die dem Schachästheten in mir echte Schmerzen bereiten, auch wenn es hier funktioniert.<<
Weil der e-Bauer verstellt wird? Dieser Umstand spielt hier eine äußerst geringe Rolle. Erstens wird der Lf8 sowieso über die Flanke entwickelt, und zweitens sind in diesem Moment Tempi wichtiger. Die weiße Dame soll nicht zur Ruhe kommen, während Schwarz sich fortwährend entwickelt.
5... Le6 lässt sich nicht widerlegen, und der Zug wird auch heute noch gespielt, wie die in der Anmerkung zum 8. Zug eingeflochtene moderne Partie beweist.
Auch wenn Engines die Variante als günstig für Weiß einschätzen, scheint das vorhandene Partiematerial zu belegen, dass die praktischen Chancen eher auf der Seite von Schwarz liegen.
Kellerdrache - 04. Jul '17
Naja Ästhetik hat ja wenig mit Effizienz zu tun. Es gibt ganze GM-Partien, die mir in ihrer Unansehlichkeit den Magen verderben ohne deswegen inkorrekt zu sein.
Schach ist eben nicht nur Wissenschaft und Wettkampf sondern auch Kunst (mal mehr mal weniger hochwertige Kunst).
Dein Verdacht, dass die Partie vielleicht nie gespielt wurde, sondern eine verkleidete Eröffnungsanalyse ist, hat was für sich. Jedenfalls sollte die dort vorkommenden Motive und Kombinationen jeder Grünfeldspieler kennen, weil sie schon ziemlich typisch sind.
Doch egal ob es nun eine reale Partie oder Eröffnungsphantasie war sie ist jedenfalls sehr schön und lehrreich kommentiert.
Schach ist eben nicht nur Wissenschaft und Wettkampf sondern auch Kunst (mal mehr mal weniger hochwertige Kunst).
Dein Verdacht, dass die Partie vielleicht nie gespielt wurde, sondern eine verkleidete Eröffnungsanalyse ist, hat was für sich. Jedenfalls sollte die dort vorkommenden Motive und Kombinationen jeder Grünfeldspieler kennen, weil sie schon ziemlich typisch sind.
Doch egal ob es nun eine reale Partie oder Eröffnungsphantasie war sie ist jedenfalls sehr schön und lehrreich kommentiert.
Vabanque - 04. Jul '17
Wie in Malerei, Architektur, Musik und Literatur empfindet jeder auch im Schach die Ästhetik anders bzw. definiert sie für sich anders.
Aber so kontrovers wird das hier ja offenbar nicht diskutiert, alle anderen außer uns beiden verspüren keinen so starken Drang, ihre Meinung dazu loswerden zu müssen.
Hätte diese Partie einen politischen Inhalt, stünden hier sicher ganz schnell 100 Anmerkungen drunter ;)
Aber das kriege ich demnächst auch noch hin ... wartet nur ...
Aber so kontrovers wird das hier ja offenbar nicht diskutiert, alle anderen außer uns beiden verspüren keinen so starken Drang, ihre Meinung dazu loswerden zu müssen.
Hätte diese Partie einen politischen Inhalt, stünden hier sicher ganz schnell 100 Anmerkungen drunter ;)
Aber das kriege ich demnächst auch noch hin ... wartet nur ...
Vabanque - 05. Jul '17
Ich meinte natürlich nicht die 100 Anmerkungen (auf die ich gut verzichten kann, vor allem wenn es solche sind wie im so genannten 'Hauptforum'), sondern die Partien politischen Inhalts! :)
pirc_ - 05. Jul '17
Ich glaube schon, dass es hier weiterhin sehr aufmerksame Mitleser gibt. Einer wundert sich über diese schöne Kurzpartie von dir, da er selbst oft welche hier reintat, die du zwar meist respektvoll gewürdigt hast, welche aber nie so richtig deinen Geschmack getroffen haben, weil sie ja von frühen Fehlern lebten, genau wie dieses Spiel, was ich mit sehr schön titulieren würde ;-)
von mir gabs wie immer aus ganzem Herzen Daumen hoch ;-)
von mir gabs wie immer aus ganzem Herzen Daumen hoch ;-)
Vabanque - 05. Jul '17
@pirc_: Schön, dass man dich mal wieder hier liest :)
Was obige Partie betrifft: Ich würde natürlich nach wie vor keineswegs ausschließlich solche Kurzreinfälle präsentieren ... aber ab und zu mal so einer darf durchaus sein, und das kam auch früher bei mir vor!
Das Problem ist ja gar nicht, dass hier zu wenige lesen würden. Ich erfahre immer wieder (teils auch im 'Hauptforum' oder per PN) von Leuten, die hier mitlesen ... das Problem ist, dass die weit überwiegende Mehrzahl der Mitleser sich still verhält und nie etwas schreibt.
Was obige Partie betrifft: Ich würde natürlich nach wie vor keineswegs ausschließlich solche Kurzreinfälle präsentieren ... aber ab und zu mal so einer darf durchaus sein, und das kam auch früher bei mir vor!
Das Problem ist ja gar nicht, dass hier zu wenige lesen würden. Ich erfahre immer wieder (teils auch im 'Hauptforum' oder per PN) von Leuten, die hier mitlesen ... das Problem ist, dass die weit überwiegende Mehrzahl der Mitleser sich still verhält und nie etwas schreibt.