Kommentierte Spiele
Die 'Mona Lisa des Schachs': Carlsen-Nakamura 2011
Vabanque - 22. Feb '14
In dieser Partie, die als die 'Mona Lisa des Schachs'
bezeichnet wurde, macht Carlsen an fast keiner Stelle
(außer im furiosen Finale) den von Engines errechneten
'stärksten Zug', und trotzdem hat Nakamura - wie auch
schon in der vor einiger Zeit vorgestellten Partie von
2013 - keine Chance. Carlsen wehrt alle Versuche von
Nakamura, taktisch zu tricksen, mit Eleganz und
Leichtigkeit ab, und baut in gelassener Ruhe allmählich
einen langsam, aber stetig anschwellenden Angriff auf,
der sich in den letzten Zügen zum Orkan steigert.
Carlsen bekam für diese Leistung einen Schönheitspreis.
Für den Umstand, dass Nakamura hier schon wieder der
Leidtragende ist, gibt es übrigens keine persönlichen
Motive meinerseits. Ich wähle die Partien rein nach
ästhetischen Gesichtspunkten und sportlicher Bedeutung
aus, und bevorzuge dabei keine Spieler. Ich hatte für
diese Folge auch Siege von Carlsen gegen Topalov,
Jakovenko und Ponomariov in der engeren Auswahl, aber
letztlich habe ich mich doch für die vorliegende
entschieden, auch wenn sich Nakamura als Verlierer hier
'doppelt' ;)
Gerade die Fähigkeit Carlsens, einen Super-GM wie Nakamura
immer wieder wie einen Kaffeehaus-Patzer aussehen zu lassen,
spricht für seine überlegene Schachkunst.































PGN anzeigen
bezeichnet wurde, macht Carlsen an fast keiner Stelle
(außer im furiosen Finale) den von Engines errechneten
'stärksten Zug', und trotzdem hat Nakamura - wie auch
schon in der vor einiger Zeit vorgestellten Partie von
2013 - keine Chance. Carlsen wehrt alle Versuche von
Nakamura, taktisch zu tricksen, mit Eleganz und
Leichtigkeit ab, und baut in gelassener Ruhe allmählich
einen langsam, aber stetig anschwellenden Angriff auf,
der sich in den letzten Zügen zum Orkan steigert.
Carlsen bekam für diese Leistung einen Schönheitspreis.
Für den Umstand, dass Nakamura hier schon wieder der
Leidtragende ist, gibt es übrigens keine persönlichen
Motive meinerseits. Ich wähle die Partien rein nach
ästhetischen Gesichtspunkten und sportlicher Bedeutung
aus, und bevorzuge dabei keine Spieler. Ich hatte für
diese Folge auch Siege von Carlsen gegen Topalov,
Jakovenko und Ponomariov in der engeren Auswahl, aber
letztlich habe ich mich doch für die vorliegende
entschieden, auch wenn sich Nakamura als Verlierer hier
'doppelt' ;)
Gerade die Fähigkeit Carlsens, einen Super-GM wie Nakamura
immer wieder wie einen Kaffeehaus-Patzer aussehen zu lassen,
spricht für seine überlegene Schachkunst.
Magnus Carlsen Hikaru Nakamura Tata Steel | Wijk aan Zee NED | 8 | 2011.01.23 | B92 | 1:0
8








7








6
5
4
3
2








a
1

b

c

d

e

f

g

h

1. e4 c5 2. Sf3 d6 3. d4 xd4 4. Sxd4 Sf6 5. Sc3 a6 6. Le2 e5 Die Najdorf-Variante im Sizilianer haben wir schon in der Partie Karjakin-Anand gesehen. Dort hat sie zu einem triumphalen Erfolg von Schwarz geführt. Hier wird es anders sein. 7. Sb3 Le7 8. Le3 O-O Nachdem er seinen König aus dem Zentrum entfernt hat, möchte Schwarz am liebsten Le6 mit anschließendem d6-d5 spielen, was ihm eine bequeme Partie sichern würde, wenn er dazu käme. Der folgende Zug Carlsens durchkreuzt diesen Plan und bereitet gleichzeitig einen Angriff gegen die schwarze Rochadestellung vor. 9. g4 Le6 10. g5 Sfd7 11. h4 Natürlich ist jetzt kein Gedanke mehr an schwarzes d6-d5. Sb6 Schwarz plant späteres Sc4 und macht gleichzeitig das Feld d7 für den anderen Springer frei. 12. Dd2 S8d7 Hier steht er nämlich flexibler als auf c6, weil er von hier aus bei Bedarf auch den Königsflügel unterstützen kann. 13. f4 Dieser Zug ist von ähnlichen Stellungen her bekannt, jedoch stets auch zweischneidig, weil damit einem schwarzen Springer das Feld e5 gestattet wird. Wie stark so eine Springerstellung sein kann, haben wir bereits in der Partie Shirov-Polgar gesehen. Aber Carlsen weiß schon, was er tut; gerade er wird niemals unkontrollierbare Risiken eingehen. xf4 14. Lxf4 Se5 15. O-O-O Tc8 Im Folgenden ist interessant, wie lange Schwarz damit wartet, mit einem Springer auf c4 'einzusteigen'. Freilich wäre im Moment noch nichts Konkretes damit zu erreichen. 16. Kb1 Ein üblicher prophylaktischer 'Mehrzweck'-Zug nach der langen Rochade; und das Gegenüber des schwarzen Turms auf der c-Linie beunruhigt den weißen König natürlich erst recht. Dc7 17. h5 Tfe8 Dieser Turmzug findet seine Erklärung in dem nachfolgenden Läuferzug von Schwarz, aber vermutlich war hier der rechte Moment zu Sc4 (mit einem der beiden Springer) gekommen. 18. Ka1!? Über- Prophylaxe oder Genialität? In Wirklichkeit vermeidet Carlsen hier eine schwarze Gegenspielmöglichkeit. Mit einem schwarzen Springer auf c4 und dem weißen König auf b1 hätte Schwarz nämlich die Möglichkeit Sa3+, weil in diesem Fall bxa3 den weißen Springer c3 ungedeckt ließe. Deswegen hätte Schwarz im vorigen Zug sofort zu Sc4 greifen sollen. Aber auch jetzt wäre dieser Zug noch richtig. Lf8 Nakamura jedoch bleibt bei seinem mit Tfe8 gefassten Plan. Der Läufer soll dem Turm auf der e-Linie nicht im Weg stehen. 19. Sd4 Die Re- Zentralisierung des Springers bringt mehrere zukünftige Möglichkeiten mit sich. Je nach Bedarf kann z.B. der Le6, der drohend auf die weiße Königsstellung zielt, abgetauscht werden, oder der Springer kann im geeigneten Moment auf f5 selber eine drohende Position gegen die schwarze Königsburg einnehmen. Dc5 Die Dame soll aktiver ins Spiel kommen, z.B. nach a5. Trotzdem war auch hier Sec4 besser. 20. g6! Weiß erzwingt Linienöffnung am Königsflügel. Das wäre auch schon im vorigen Zug möglich gewesen, aber es ist typisch Carlsen, dass er erst zuschlägt, nachdem er alle seine Figuren in Position gebracht hat. Dies konnten wir bereits in der Partie Carlsen-Groenn beobachten. Sec4 Endlich; aber Schwarz hat den günstigen Moment für diesen Zug bereits überschritten. Die Annahme des Bauernopfers mit fxg6 21. hxg6 Sxg6 wäre schon wegen der Möglichkeit, mit 22. Th5 (greift die schwarze Dame an) nebst Tdh1 die Türme auf der h-Linie zu verdoppeln, für Schwarz ungünstig; aber Weiß könnte wohl auch risikolos mit 22. Sxe6 nebst Lg4 die Qualität erobern. 21. Lxc4 Hier musste Weiß aufpassen; denn auf einen Wegzug der Dame, z.B. 21. De1, wäre Sxb2! gefolgt, und auf 22. Kxb2 Dxc3! 23. Dxc3 Sa4+ hätte Schwarz die Dame bei überlegener Stellung zurückerobert. Deswegen tauscht Weiß erst einen der gefährlichen Springer. Sxc4 22. Dd3 xg6 23. xg6 h6 Schwarz muss die Linienöffnung gegen seinen König natürlich unter allen Umständen vermeiden; aber nun bildet der Bauer g6 einen 'Pfahl im Fleische', der die schwarze Königsstellung gefährlich einengt. Er kann auch im geeigneten Moment geopfert werden, damit sich die g-Linie öffnet. 24. Dg3 Konkrete Drohungen sind noch nicht da; deswegen bringt Carlsen weiterhin seine Figuren nach und nach in bessere Positionen gegen den schwarzen König. Db6 Jetzt ist eine konkrete Drohung da, und das von Schwarz! Er droht einzügig Matt auf b2, daher muss Carlsen einen Verteidigungszug machen. 25. Lc1 Da5?! Schwarz träumt von Wendungen folgender Art: Springeropfer auf b2 mit nachfolgendem Turmopfer auf c3, wonach die schwarze Dame mit freundlicher Unterstützung des Le6 auf a2 Matt sagen könnte. 26. Tdf1 Carlsen ignoriert den schwarzen Angriff, nachdem er erkannt hat, dass es sich dabei nur um einen Bluff handelt. Würde Schwarz jetzt nämlich Sxb2? ziehen, so käme 27. Sxe6! Txc3 (auf Dxc3 bliebe Schwarz am Ende eine Figur zu wenig übrig) 28. Df4!, und Schwarz sähe sich der unparierbaren Mattdrohung Dxf8+ Txf8 Txf8# gegenüber (28... Tc8 29. Df7+ Kh8 30. Txh6+! nebst Dh7#). Se5 Enttäuscht darüber, dass er gegen die weiße Königsstellung nichts ausrichten konnte, kehrt dieser Springer auf das stolze Zentralfeld zurück - so zumindest sieht dieser Zug aus. Aber Vorsicht! Schwarz droht jetzt direkt Txc3 mit Beseitigung der Deckung von a2. Weiß hätte dann wegen Bedrohung seiner Dame keine Zeit zu dem Zwischenzug Sxe6. 27. Sd5! Natürlich wäre hier - wie auch schon im 24. und 26. Zug der Abtausch Sxe6 einfach und gut. Aber Carlsen tauscht lieber den anderen Springer gegen den Le6, denn mit dem auf d4 hat er noch etwas gegen die schwarze Königsstellung vor. Der Zug ist zudem viel eleganter als Sxe6, weil er ein Bauernopfer beinhaltet. Lxd5 Es bleibt Schwarz gar nichts anderes übrig, als den Springer abzutauschen; er stünde hier sonst viel zu stark. 28. xd5 Dxd5? Schwarz möchte natürlich nicht, dass der Bauer d5, falls er stehen bleibt, zum Stützpunkt für einen weißen Vorpostenspringer e6 wird. Aber Tc4 war die einzige Chance. Auf Se6 könnte Schwarz dann noch Tg4 versuchen, was zwar letztlich auch verlieren sollte, aber nur nach großen Verwicklungen, in denen Weiß die stärksten Züge finden müsste, um die Oberhand zu behalten. Der Textzug verliert forciert, wie Carlsen in brillianter Weise sofort nachweist. 29. Lxh6!! Nachdem dieser Läufer lange Zeit dem Geschehen scheinbar unbeteiligt zugeschaut hat, feuert er nun plötzlich aus dem Hinterhalt, um durch Aufopferung seines Lebens die entscheidende Bresche in die schwarze Königsburg zu schlagen. xh6 Falls Schwarz stattdessen den Springer nimmt, geschieht 29... Dxd4 30. Le3, und nach dem Wegzug der schwarzen Dame kommt die klassische Opferwendung 31. Th8+ nebst Dh2+ und Dh7#. 30. g7 Ein weißer Freibauer auf g7 im Mittelspiel nach 30 Zügen! Die Pointe ist, dass nach Lxg7 31. Sf5 (jetzt kommt der Springer endlich zu seinem Recht) Tc7 (nach der einzigen anderen Möglichkeit, g7 zu decken, nämlich Df7, ist nach 32. Sxh6+ die Dame sofort verloren) 32. Sxh6+ Kh7 (auf Kh8 folgt 33. Sf7++ Kg8 34. Th8 matt!) 33. Sg4+ (jetzt wäre Sf7+ kein Doppelschach, so dass sich Schwarz mit Dxh1 noch aus der Affäre ziehen könnte) Kg8 (jetzt würde Dxh1 nach Sf6+ nebst Th1+ zum Matt führen; und nach Kg6 käme Sxe5 mit Doppelschach und Matt!) 34. Sf6+ mit Damengewinn! Le7 Also schlägt Schwarz nicht auf g7, ohne seine Chancen dadurch aber im mindesten zu verbessern. Nach der einzigen Alternative Sf7 35. gxf8D+ Kxf8 36. Sf5 mit den Drohungen Dg7# und Sxh6 steht Schwarz ebenfalls vor dem Aus (auf 36... Te6 folgt einfach 27. Thg1 mit der Drohung Dg8#). 31. Txh6 Droht einzügig Matt auf h8. Sf7 Die einzige Parade. 32. Dg6! In solchen Stellungen bieten sich die Opferzüge von selbst an. Aber hübsch sieht es trotzdem aus. Es droht einzügig Matt auf h7, der Turm muss also genommen werden. Sxh6 33. Dxh6 Wieder mit Mattdrohung auf h8. Der Bauer g7 ist so stark wie einer Figur. Spätestens jetzt könnte Schwarz eigentlich die Waffen strecken. Lf6 Verstopft notdürftig die f-Linie und stellt eine allerletzte, billige Falle: Wenn Weiß jetzt mit dem Turm auf f6 schlägt, wird er mit Te1 mattgesetzt. Aber selbst das Schlagen auf f6 mit der Dame würde gewinnen. Carlsen findet jedoch einen viel zwingenderen Schluss: 34. Dh8+ Kf7 35. g8=Q+ Der starke Bauer gibt sich selbst am Ende noch auf, um den Turm auf das Feld g8 zu lenken und zugleich der weißen Dame den Weg nach f6 zu ebnen. Txg8 36. Dxf6+ Ke8 37. Te1+ Nun entschloss sich Naka doch zur Aufgabe, denn er hat nur die Wahl zwischen Kd7 38. De7 matt und 37... De5 38. Txe5+ fxe5 39. De6+, wonach noch ein Turm verloren geht. Eine Glanzleistung Carlsens.
Kellerdrache - 24. Feb '14
Ich habe den Eindruck als hätte Nakamura gegen Carlsen immer Ladehemmung. Klar war das von Weiß Klasse gespielt, aber Nakamura hat für seine Verhältnisse schon relativ viele ungenaue Züge gemacht.
Auf jeden Falls wieder eine sehr unterhaltsame Partie
Auf jeden Falls wieder eine sehr unterhaltsame Partie
Vabanque - 24. Feb '14
Gegen manche Spieler kann man einfach nicht spielen, da spielt man immer weit unter seinen tatsächlichen Möglichkeiten. Bei Nigel Short und Judit Polgar ist es ähnlich, da steht es 12 : 3 für Polgar, obwohl nach Elo-Wertung die beiden praktisch exakt gleich stark sind.
Janowski und Marshall konnten gegen Lasker nicht spielen, Larsen konnte gegen Fischer nicht spielen, Bogoljubow und Tartakower konnten gegen Capablanca nicht spielen, und Fischer konnte gegen Geller nicht spielen, Ponomariov kann gegen Anand nicht spielen ... die Schachgeschichte kennt viele solcher Beispiele von 'Angstgegnern'.
Janowski und Marshall konnten gegen Lasker nicht spielen, Larsen konnte gegen Fischer nicht spielen, Bogoljubow und Tartakower konnten gegen Capablanca nicht spielen, und Fischer konnte gegen Geller nicht spielen, Ponomariov kann gegen Anand nicht spielen ... die Schachgeschichte kennt viele solcher Beispiele von 'Angstgegnern'.
pirc_ - 24. Feb '14
ja das kenn ich...ich kann gegen alle von denen nicht spielen ;-)
Vabanque - 24. Feb '14
LOL :))
Vabanque - 24. Feb '14
Ich vermisse eigentlich die von cutter gefundenen Schreibfehler ;)
Im Ernst, ich selber habe hinterher auch noch eine Menge kleinerer Vertipper meinerseits gefunden (und auch einen nicht beendeten Satz). Immer wieder ärgerlich, warum sehe ich so etwas nicht vor dem Posten?
Im Ernst, ich selber habe hinterher auch noch eine Menge kleinerer Vertipper meinerseits gefunden (und auch einen nicht beendeten Satz). Immer wieder ärgerlich, warum sehe ich so etwas nicht vor dem Posten?
pirc_ - 24. Feb '14
ich muss mich korrigieren, hab nochmal bei meinen alten Partien nachgeschaut:
der einzige gegen den ich von den leuten bisher gespielt habe war der typ namens fischer, aber das war ein leichter sieg, der hatte auch nur ne DWZ von 1600 oder so ... vielleicht iss er ja mittlerweile stärker geworden ;-)
der einzige gegen den ich von den leuten bisher gespielt habe war der typ namens fischer, aber das war ein leichter sieg, der hatte auch nur ne DWZ von 1600 oder so ... vielleicht iss er ja mittlerweile stärker geworden ;-)
Vabanque - 24. Feb '14
Ja, stell dir vor, gegen Fischer hab ich auch schon mehrfach gespielt ... aber immer hat er anders ausgeschaut, und immer hatte er eine andere DWZ, so von 1500 bis 2100 war alles dabei ... scheint ein wahres Chamäleon zu sein, der Kerl ;)
cutter - 24. Feb '14
War sehr spät, als ich die tolle Partie nachgespielt hab. Bin treuer Fan deiner Partie-Posts...
Grüße cutter
Grüße cutter